Clara
Nobelhotel, dabei hatten sie statt Damast nur weiße Bettlaken decken können, aber die hatten sie gestärkt und geplättet. Bänke waren ihnen zu popelig und zu unbequem gewesen, also war Astrid losgefahren und hatte bei allen Bekannten Stühle organisiert, je älter, desto besser. Auch das weiße Porzellan, die Gläser und das Besteck waren aus mehreren Haushalten zusammengesucht, und sie hatten alles auf Hochglanz poliert. Gabis Blumendekoration und die Servietten paßten farblich perfekt zu den Kacheln, die vielen Kerzen und vor allem Astrids Kronleuchter waren das Tüpfelchen auf dem i.
»Hee«, kam Astrid aus ihrem Zimmer. »Es ist Viertel vor, und du bist noch nicht umgezogen.«
»Umgezogen?« Toppe betrachtete ihr sehr enges, sehr kurzes, sehr schwarzes Kleid und merkte, wie sein Puls schneller wurde.
»Das ist ein Festessen, Süßer«, küßte sie ihn. »Du willst doch nicht in diesem buffigen Pullover bleiben.«
Er schnupperte. »Du hast ein neues Parfüm.«
Sie boxte ihm gegen die Brust. »Schande auf dein Haupt! Das habe ich schon seit drei Tagen.«
Ackermanns waren die ersten, und beim Anblick der Festtafel verstummte selbst Jupp Ackermann. Seine Frau hingegen brach in lautstarke Begeisterung aus. Sie trug ein hautnahes Etwas aus weißer Spitze, mit hellrotem Taft unterlegt. Astrid schnappte kurz nach Luft, eine gewagte Wahl bei einer Körpergröße von 1,82 in und mindestens neunzig Kilo Gewicht.
Alle waren blendender Laune. Sogar van Appeldorn erzählte witzige Geschichten von der Pampersmannschaft seines Fußballclubs, und seine Frau strahlte ihn verstohlen an.
Bonhoeffer lobte jedes einzelne Gericht und machte sich einen Spaß daraus, alle Zutaten herauszuschmecken.
Gabi hatte zu Anfang kurz geschmollt. »Christian hat versprochen, daß er dabei ist.«
Aber Toppe hatte sie schnell auf den Mund geküßt. »Wart’s ab, der kommt noch.«
Um halb zehn öffnete Toppe den Kühlschrank und überprüfte besorgt den Weißweinvorrat.
»Da ist noch eine Kiste in der Kammer«, sagte Astrid, die ihm nachgekommen war und sich von hinten an ihn schmiegte.
Er drehte sich um und umfaßte sie. »Dann ist es ja gut. Ich hab schon gedacht, es würde eng.«
Sie schob ihren Schenkel zwischen seine Beine und sah ihm herausfordernd in die Augen. Er hielt ihren Blick fest, zog langsam ihr Kleid hoch und legte ihr die Hand auf den Po. »Ich hasse Strumpfhosen.«
»Wo bleibt der Wein?« rief Gabi von der Tür her und schüttelte dann kichernd den Kopf. »Also wirklich! In der Küche!«
Toppe gab Astrid frei. »Stellst du noch ein paar Flaschen kalt? Ich trage die zwei hier schon mal rein. Es hat geklingelt!« rief er, aber Gabi war schon gelaufen.
Es war Christian. Er sah an seiner Mutter vorbei zu Toppe hin. »Papa?« Seine Augen brannten.
Toppe stellte die Flaschen auf den Tisch. »Was ist passiert?«
Die Gespräche verstummten.
Christian blieb an der Tür. »Hast du mal zwölf Mark für das Taxi? Und kannst du mir helfen?«
Toppe schob sich an den Stühlen vorbei und folgte seinem Sohn nach draußen.
Alle sahen sich an.
»Kommt, Kinder«, rief Heinrichs. »Bloß keine Aufregung. Vielleicht hat der Junge nur einen über den Durst getrunken.«
Aber da öffnete sich die Haustür schon wieder, und Astrid hielt die Luft an. Ihr lief ein Schauer über den Rücken.
Christian und Toppe kamen langsam herein. In der Mitte, vorsichtig gestützt, Clara.
Sie war schwach, ging sehr vorsichtig, aber ihr Blick, der über die Anwesenden glitt, war klar und fest.
Van Appeldorn, der am Ende des Tisches saß, stand leise auf und schob seinen Stuhl vor.
Clara setzte sich und legte die Hände im Schoß zusammen. Christian trat sofort hinter sie und hielt sie bei den Schultern.
»Du hast sie einfach aus dem Krankenhaus geholt?« fragte Toppe fassungslos.
»Durch das Fenster«, nickte Christian. »Als ihr Bruder draußen rauchen war.«
Astrid kam langsam näher und ging dann neben Clara in die Hocke.
»Geht es dir gut, Clara?« fragte sie leise.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
Christian drückte seine Hände fest auf ihre Schultern. »Sie hat alles gesehen. Wie ihr Vater und ihr Bruder und die beiden Nachbarn, wie sie Ralf … sie ist fast gestorben, Papa … und das mit dem Boot …«
»Mein Bruder hat das M otorrad in der Scheune versteckt.« Clara schaute auf den Tisch. »Ich habe Hunger.«
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