Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
hinaufgeht.«
Justinas langes, verhärmtes Gesicht wurde lebhaft. In ihren Augen glomm ein kleines, bösartiges Licht auf. Amélia beendete das Gespräch:
»Wir warten noch ein bisschen. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Vielen Dank, Dona Amélia.«
Amélia murmelte ein kurzes »Sie gestatten!« und schloss die Tür. Justina ging die Treppe hinunter. Sie trug Trauerkleidung, und mit ihrer hochgewachsenen, düsteren Gestalt, das schwarze Haar durch einen breiten Scheitel geteilt, wirkte sie wie eine schlecht proportionierte Gliederpuppe, für eine Frau zu groß und ohne jeden Anflug von weiblichem Liebreiz. Nur ihre schwarzen Augen, tief in den gequälten Augenhöhlen einer Diabetikerin, waren paradoxerweise schön, aber so schwermütig und ernst, dass man keine Anmut darin fand.
Auf ihrem Treppenabsatz angelangt, blieb sie vor der Tür gegenüber ihrer eigenen stehen und hielt das Ohr daran. Von drinnen drang kein einziges Geräusch. Verächtlich verzog sie das Gesicht und wandte sich ab. Als sie ihre Wohnung betreten wollte, hörte sie, dass im Stockwerk über ihr eine Tür geöffnet wurde, und gleich darauf ertönten Stimmen. Sie rückte die Fußmatte zurecht, um einen Vorwand zu haben, nicht hineinzugehen.
Von oben kam ein lebhafter Dialog.
»Zur Arbeit gehen, das ist es, was sie nicht will!«, sagte eine weibliche Stimme in scharfem Ton.
»Egal, was es ist. Man muss auf das Mädchen aufpassen. Sie ist in einem gefährlichen Alter«, antwortete eine Männerstimme. »Man weiß nie, was dabei herauskommt.«
»In gefährlichem Alter, wieso das denn? Du bist unverbesserlich. Mit neunzehn in einem gefährlichen Alter? Also wirklich …«
Justina hielt es für besser, die Fußmatte kräftig zu schütteln, um sich bemerkbar zu machen. Die Unterhaltung oben brach ab. Der Mann kam die Treppe herunter und sagte noch:
»Zwing sie nicht, zu gehen. Wenn es etwas Neues gibt, ruf mich im Büro an. Wiedersehen.«
»Wiedersehen, Anselmo.«
Justina grüßte den Nachbarn mit einem Lächeln, doch ohne Freundlichkeit. Anselmo ging an ihr vorbei, hob die Hand zu einer förmlichen Berührung der Hutkrempe und äußerte mit wohlklingender Stimme einen höflichen Gruß. Als er auf die Straße trat, fiel die Haustür eindrucksvoll ins Schloss. Justina grüßte nach oben.
»Guten Morgen, Dona Rosália.«
»Guten Morgen, Dona Justina.«
»Was hat denn Ihre Claudia? Ist sie krank?«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich war gerade dabei, die Fußmatte auszuklopfen, und habe Ihren Mann gehört. Es klang mir danach …«
»Das ist nur Theater. Mein Anselmo hält es nicht aus, wenn seine Tochter jammert. Sein armer Liebling … Sie behauptet, sie hat Kopfschmerzen. Faulheit, das ist es. Ihre Kopfschmerzen sind so schlimm, dass sie schon wieder schläft!«
»Man weiß nie, Dona Rosália. So war es auch, als ich meine Tochter verloren habe, Gott hab sie selig. Nein, nein, es ist nichts, hieß es immer, und dann hat die Meningitis sie dahingerafft …« Sie zog ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich kräftig. Dann sprach sie weiter: »Die Ärmste … Mit acht Jahren … Unvergessen … Zwei Jahre ist es jetzt fast her, erinnern Sie sich, Dona Rosália?«
Rosália erinnerte sich und trocknete sich eine Anstandsträne ab. Auf das scheinbare Mitgefühl der Nachbarin gestützt, wollte Justina weitersprechen, längst bekannte Einzelheiten ausbreiten, aber da unterbrach sie eine heisere Stimme.
»Justina!«
Justinas blasses Gesicht erstarrte. Sie redete weiter, bis die Stimme lauter und heftiger wurde.
»Justina!!!«
»Was ist?«, fragte sie.
»Würdest du bitte reinkommen. Ich will kein Gerede im Treppenhaus. Wenn du das Arbeiten so satthättest wie ich, dann würde dir das Schnattern vergehen!«
Justina zuckte gleichgültig die Achseln und redete weiter. Doch Rosália, von der Szene peinlich berührt, verabschiedete sich. Justina ging in ihre Wohnung. Rosália kam ein paar Stufen herunter und horchte. Durch die Tür drangen schroffe Worte. Dann plötzlich Stille.
So war es immer. Man hörte den Mann schimpfen, dann sagte die Frau ein paar Worte, die man nicht verstehen konnte, und der Mann schwieg. Rosália fand das sehr merkwürdig. Justinas Mann galt als Flegel, mit seinem aufgeschwemmten Körper und seinen groben Manieren. Er war noch keine vierzig, wirkte aber älter wegen des schlaffen Gesichts, den vorstehenden Augen und der immer hängenden feuchtglänzenden Unterlippe. Niemand verstand, warum zwei so
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