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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Silvestre.«
    So war es jeden Morgen. Wenn Adriana das Haus verließ, stand der Schuster schon im Erdgeschoss am Fenster. Unmöglich, sich davonzustehlen, ohne die wirre Mähne zu sehen und ohne den unvermeidlichen Gruß zu hören und zu erwidern. Silvestre blickte ihr nach. So von weitem sah sie, seinen Worten zufolge, »wie ein schlecht zusammengebundener Sack« aus. Als Adriana die Straßenecke erreichte, drehte sie sich um und winkte zum zweiten Stock hinauf. Dann verschwand sie.
    Silvestre legte den Schuh weg und reckte den Kopf aus dem Fenster. Er war kein Schnüffler, er mochte die Nachbarinnen aus dem zweiten Stock, nette Leute und gute Kundinnen. Mit verzerrter Stimme, weil er den Hals drehte, grüßte er nach oben.
    »Hallo, Fräulein Isaura! Wie sieht’s aus heute?«
    Aus dem zweiten Stock kam, durch die Entfernung gedämpft, die Antwort:
    »Nicht so schlecht. Der Nebel …«
    Ob der Nebel die Schönheit des Morgens beeinträchtigte oder nicht, war nicht mehr zu erfahren. Isaura brach die Unterhaltung ab und schloss das Fenster. Sie hatte nichts gegen den Schuster, seine nachdenkliche und zugleich heitere Art, doch an diesem Morgen war ihr nicht nach einem Schwatz. Sie hatte eine Menge Hemden bis zum Wochenende fertig zu machen. Am Samstag musste sie die Hemden abliefern, ganz gleich was geschah. Ginge es nach ihr, würde sie den Roman zu Ende lesen. Es waren nur noch fünfzig Seiten, und sie war gerade in einem hochspannenden Kapitel. All die heimlichen Liebschaften, die unzählige Wendungen und Widrigkeiten überstanden, fesselten sie. Außerdem war der Roman gut geschrieben. Isaura hatte genug Erfahrung als Leserin, um das beurteilen zu können. Sie zögerte. Aber dann sah sie ein, dass sie nicht zögern durfte. Die Hemden warteten. Von drinnen hörte sie Stimmen – die Mutter und die Tante redeten. Was diese Frauen redeten! Was hatten sie den lieben langen Tag über zu sagen, was nicht schon tausendmal gesagt worden war?
    Sie ging durch das Zimmer, in dem sie mit ihrer Schwester schlief. Der Roman lag am Kopfende. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Buch, ging aber weiter. Vor dem Kleiderschrank blieb sie stehen, der Spiegel zeigte sie von Kopf bis Fuß. Ihr Hauskittel schmiegte sich eng an ihren großen schmalen, aber geschmeidigen Körper. Mit den Fingerspitzen strich sie sich über die blassen Wangen, wo erste Falten feine, eher zu erahnende als sichtbare Furchen zogen. Sie seufzte dem Bild zu, das der Spiegel ihr zeigte, und wandte sich ab.
    Die beiden alten Frauen in der Küche redeten immer noch. Sie sahen sich sehr ähnlich, beide vollkommen ergraut, braune Augen, die gleichen schwarzen, schlicht geschnittenen Kleider, und sie sprachen schnell und schrill, ohne Pausen, alles in derselben Tonlage:
    »Ich sag es dir. Die Kohle besteht nur aus Erde. Wir müssen uns beim Kohlenhändler beschweren«, sagte die eine.
    »Ist gut«, sagte die andere.
    »Worum geht es?«, fragte Isaura, als sie die Küche betrat.
    Die eine der beiden Frauen, die mit dem lebhafteren Blick und der aufrechteren Kopfhaltung, antwortete:
    »Um die Kohle, es ist ein Elend. Wir müssen uns beschweren.«
    »Ist gut, Tante Amélia.«
    Tante Amélia war sozusagen die Wirtschafterin im Haus. Sie kochte, rechnete ab und verteilte die Portionen auf die Teller. Cândida, die Mutter von Isaura und Adriana, kümmerte sich um die Einrichtung, die Wäsche, die gestickten Deckchen, die in großer Zahl die Möbel schmückten, und um die schmalen, hohen Vasen mit Papierblumen, die nur an Feiertagen durch echte Blumen ersetzt wurden. Cândida war die Ältere und wie Amélia verwitwet. Zwei Witwen, die das Alter ruhiger hatte werden lassen.
    Isaura setzte sich an die Nähmaschine. Bevor sie mit der Arbeit begann, blickte sie auf den breiten Fluss, das andere Ufer war vom Nebel verdeckt. Als wäre es das Meer. Die Dächer und Schornsteine störten die Illusion, trotzdem, wenn man sich bemühte, sie zu ignorieren, formten sich die wenigen Kilometer Wasser zu einem Ozean. Linker Hand stieß ein hoher Fabrikschornstein Rauchwolken in den weißen Himmel.
    Isaura liebte diese Momente, wenn sie den Blick und die Gedanken schweifen ließ, bevor sie den Kopf über die Nähmaschine beugte. Das Panorama war immer gleich, doch als monoton empfand sie es nur an den hartnäckig blauen und strahlend hellen Sommertagen, wenn alles klar und eindeutig war. Ein dunstiger Morgen wie dieser, mit feinem Nebel, der die Sicht jedoch nicht vollkommen

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