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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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wirst dich noch mal bei mir bedanken …«
    »Das könnte ich jetzt schon, wenn du mir sagen würdest, was los ist. Was kann ich dafür, dass ich nicht so genau beobachte wie du?«
    Amélia sah ihre Schwester misstrauisch von der Seite an. Cândidas Ton klang für sie spöttisch. Sie spürte, dass sie sich unvernünftig verhielt, und war drauf und dran, zu gestehen, dass sie nichts wusste. Sie würde ihre Schwester beruhigen und gemeinsam mit ihr vielleicht herausfinden, was der Grund für die Missstimmung zwischen Isaura und Adriana war. Doch ihr Stolz verbot es ihr. Zugeben, dass sie nichts wusste, nachdem sie angedeutet hatte, sie wisse etwas, dazu war sie nicht in der Lage. Sie hatte sich daran gewöhnt, immer recht zu haben, wie ein Orakel zu sprechen, und um nichts in der Welt war sie bereit, diese Rolle aufzugeben. Sie murmelte:
    »Ist gut. Ironie kostet nichts. Ich kümmere mich allein darum.«
    Cândida ging zu ihren Töchtern zurück. Sie war beunruhigt, noch beunruhigter als vorher. Amélia wusste etwas, worüber sie nicht sprechen wollte – was konnte das sein? Adriana und Isaura saßen noch genauso weit voneinander entfernt, doch die Mutter hatte das Gefühl, zwischen ihnen lägen Meilen. Sie setzte sich auf ihren Stuhl, nahm ihre Häkelarbeit, häkelte zwei Maschen, war jedoch unfähig, weiterzuhäkeln. Sie ließ die Hände sinken, zögerte einen Moment und fragte dann:
    »Was habt ihr?«
    Auf diese direkte Frage reagierten Isaura und Adriana sekundenlang mit Panik. Im ersten Augenblick brachten sie keine Antwort heraus, dann sagten sie gleichzeitig:
    »Wir? Nichts …«
    Adriana fügte noch hinzu:
    »Wie kommst du darauf, Mama?!«
    »Ja, natürlich ist es Blödsinn«, dachte die Mutter. Sie lächelte, betrachtete langsam beide Töchter nacheinander und sagte:
    »Du hast recht, es ist Unsinn. Manchmal kommt einem so ein Gedanke …«
    Sie griff wieder zu ihrer Häkelarbeit. Nach einer Weile stand Isaura auf und verließ den Raum. Die Mutter sah ihr hinterher, bis sie verschwand. Adriana beugte sich noch tiefer über das Hemd. Aus dem Radio erklangen mehrere Sängerstimmen durcheinander. Wahrscheinlich war es die Schlussszene eines Aktes mit vielen Darstellern auf der Bühne, hohe Stimmen und tiefe Stimmen. Alles zusammen klang ziemlich wirr und vor allem laut. Nach einem schrillen Tusch von Bläsern, der den Gesang übertönte, rief Cândida plötzlich:
    »Adriana!«
    »Ja, Mama …«
    »Geh nachsehen, was deine Schwester hat. Vielleicht fühlt sie sich nicht gut …«
    Dass Adriana zögerte, blieb ihr nicht verborgen.
    »Was ist? Willst du nicht gehen?«
    »Doch. Warum sollte ich nicht?«
    »Das frage ich dich.«
    Cândidas Augen glänzten ungewöhnlich. Als wären sie tränenfeucht.
    »Aber was denkst du denn, Mama?«
    »Ich denke gar nichts, Kind …«
    »Es gibt auch nichts zu denken, glaub mir. Es ist alles in Ordnung.«
    »Ehrenwort?«
    »Ja, Ehrenwort …«
    »Na gut. Und jetzt geh nachsehen.«
    Adriana verließ den Raum. Die Mutter ließ ihre Häkelarbeit in den Schoß sinken. Die Tränen, die sie bis dahin zurückgehalten hatte, fielen nun. Zwei Tränen nur, Tränen, die ihr in die Augen getreten waren und nicht mehr zurückkonnten. Sie hatte der Tochter nicht geglaubt. Sie war nun überzeugt, dass es zwischen Isaura und Adriana ein Geheimnis gab, über das keine von beiden sprechen wollte oder konnte.
    Amélia kam herein und unterbrach sie in ihren Gedanken. Cândida griff zu der Häkelnadel und senkte den Kopf.
    »Wo sind die Mädchen?«
    »Im Zimmer.«
    »Was machen sie?«
    »Das weiß ich nicht. Wenn du immer noch etwas herausfinden willst, kannst du sie ja belauern gehen, aber ich sage dir, das kannst du dir sparen. Adriana hat mir ihr Ehrenwort gegeben, dass zwischen ihnen nichts ist.«
    Amélia stieß einen Stuhl heftig beiseite und antwortete in hartem Ton:
    »Deine Meinung interessiert mich nicht. Ich habe noch nie andere belauert, aber wenn es nötig sein sollte, tue ich es ab jetzt!«
    »Du bist verbohrt!«
    »Das ist mir egal. Aber wie dem auch sei, merk dir eins, ich erlaube dir nicht, so mit mir zu sprechen!«
    »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
    »Hast du aber.«
    »Entschuldige.«
    »Dafür ist es zu spät.«
    Cândida stand auf. Sie war etwas kleiner als ihre Schwester. Unwillkürlich stellte sie sich auf die Zehenspitzen.
    »Wenn du meine Entschuldigung nicht annimmst, kann ich es nicht ändern. Ich habe Adrianas Ehrenwort.«
    »Ich glaube ihr nicht.«
    »Aber ich,

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