Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
ihm, redete beschwichtigend auf ihn ein, führte ihn aus der Küche heraus.
Erst ganz allmählich beruhigte sich das Kind. Als sie zurückkamen, wischte Carmen sich die Tränen mit der schmutzigen Schürze ab. Geduckt wie eine alte Frau, das Gesicht zerfurcht und gerötet; ein trauriger Anblick. Sie tat Emílio leid.
»Geht es dir besser?«
»Ja. Und der Junge?«
»In Ordnung.«
Sie setzten sich schweigend an den Tisch. Aßen schweigend. Nach der stürmischen Szene zwang die Erschöpfung sie zum Schweigen. Vater, Mutter und Sohn. Drei Menschen unter demselben Dach, im selben Licht, dieselbe Luft atmend. Eine Familie …
Als sie die Mahlzeit beendet hatten, ging Emílio ins Wohnzimmer, und Henrique kam hinterher. Kraftlos, als hätte er eine anstrengende Tätigkeit hinter sich, ließ Emílio sich auf ein altes Korbsofa fallen. Henrique lehnte sich an seine Knie.
»Wie geht es dir?«
»Gut, Papa.«
Emílio strich ihm über das weiche Haar. Der kleine Kopf in seiner Hand rührte ihn. Er strich ihm die Haare über den Augen zur Seite, fuhr mit einem Finger über die schmalen Augenbrauen und dann den Konturen des Gesichts folgend bis hinunter zum Kinn. Henrique ließ sich wie ein kleiner Hund streicheln. Er atmete kaum, als fürchtete er, ein einziger Atemhauch könnte die Liebkosung beenden. Er sah den Vater unverwandt an. Emílios Hand wanderte noch immer über die Züge seine Sohnes, nun selbstvergessen, eine mechanische, unbewusste Bewegung. Henrique spürte, wie der Vater sich zurückzog. Er rutschte zwischen seine Knie und lehnte den Kopf an seine Brust.
Jetzt war Emílio vom Blick seines Sohnes befreit. Seine Augen wanderten von einem Möbelstück zum anderen, von Gegenstand zu Gegenstand. Auf einer Säule stand ein bemalter Knabe aus Ton mit einer Angel, zu seinen Füßen ein leeres Aquarium. Eine gerüschte Zierdecke, die unter der Statuette an den Säulenseiten herunterhing, bewies Carmens hausfrauliches Geschick. Auf der Anrichte und dem Geschirrschrank, in dem sich nur Geschirr der Manufaktur Sacavém befand, schimmerten matt ein paar Gläser. Alles wirkte matt, als verdeckte eine fest anhaftende Staubschicht Farbe und Glanz.
Emílios Augen nahmen Hässlichkeit, Eintönigkeit, Banalität wahr. Ein deprimierender Eindruck. Die Deckenlampe verteilte ihr Licht so, dass man meinen konnte, sie solle eher Schatten verbreiten. Und sie war modern, diese Lampe. Drei verchromte Arme mit den entsprechenden Schirmen. Aus Sparsamkeitsgründen brannte nur eine Birne.
In der Küche brachte Carmen sich in Erinnerung, indem sie schwer seufzend das Geschirr abwusch und über ihren Kummer nachdachte.
Den Sohn an die Brust gedrückt, sah Emílio die Beschränktheit seines gegenwärtigen Lebens, er dachte an die Beschränktheit seines vergangenen Lebens. Und was die Zukunft betraf … Die hielt er in den Armen, nur war es nicht seine eigene. In wenigen Jahren würde der Kopf, der sich nun glücklich an seine Brust schmiegte, selbständig denken. Und was?
Emílio schob den Jungen langsam ein Stückchen von sich weg und sah ihn an. Henriques Gedanken schlummerten noch hinter seiner Gelassenheit. Alles war noch verborgen.
23
A mélia flüsterte der Schwester ins Ohr:
»Die Mädchen haben Probleme …«
»Wie bitte?«
»Sie haben Probleme …«
Sie saßen in der Küche. Kurz zuvor hatten sie ihr Abendessen beendet. Adriana und Isaura nähten im Zimmer nebenan Knopflöcher in Oberhemden. Durch die offene Tür fiel Licht in den dunklen Flur. Cândida sah ihre Schwester ungläubig an.
»Das glaubst du nicht?«, fragte Amélia.
Cândida zuckte die Achseln und schob die Unterlippe vor, womit sie zu verstehen gab, dass sie nichts wusste.
»Wenn du nicht immer mit geschlossenen Augen herumlaufen würdest, hättest du es längst gemerkt …«
»Aber was für Probleme sollen es denn sein?«
»Das wüsste ich auch gern.«
»Vielleicht hast du nur das Gefühl.«
»Schon möglich. Aber du kannst an den Fingern abzählen, wie viele Wörter sie heute miteinander gesprochen haben. Und nicht nur heute. Ist dir das nicht aufgefallen?«
»Nein.«
»Ich sage es ja. Du läufst mit geschlossenen Augen herum. Lass mich die Küche machen und geh du zu ihnen. Und beobachte sie …«
Cândida begab sich mit ihren Trippelschritten in den Flur und zu dem Raum, in dem ihre Töchter saßen. Sie waren so mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie nicht aufblickten, als die Mutter hereinkam. Aus dem Radio kam nicht sonderlich laut
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