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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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nur ihr Mund war weit aufgerissen, ihr hysterisches Lachen nahm kein Ende.
    »Hör auf! Das ist ein Skandal!«, rief Caetano und ging auf sie zu. Er zögerte, ob er die Komödie weiterspielen sollte. Justinas Reaktion machte es ihm unmöglich, den so schön ausgedachten Plan durchzuführen.
    »Hör auf!«, rief er wieder, über sie gebeugt. »Hör auf!«
    Nun schüttelten Justina nur noch ein paar schlaffe Lacher. Caetano versuchte, den Faden aufzunehmen, der ihm aus den Fingern geglitten war.
    »So reagierst du also auf einen solchen Vorwurf? Das ist ja noch schlimmer, als ich gedacht hatte!«
    Bei diesen Worten setzte Justina sich mit einem Ruck im Bett auf. So schnell, dass Caetano einen Schritt zurückwich. Justinas Augen funkelten.
    »Das ist doch eine Farce! Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst!«
    »Das nennst du eine Farce? Das fehlte ja noch. Eine Farce! Ich verlange eine Erklärung für das, was in diesem Brief steht!«
    »Hol sie dir von dem, der ihn geschrieben hat!«
    »Der Brief ist anonym.«
    »Das sehe ich. Von mir bekommst du jedenfalls keine Erklärung.«
    »Das wagst du mir zu sagen?«
    »Was willst du von mir hören?«
    »Ob es wahr ist!«
    Justina starrte ihn in einer Weise an, dass er es nicht ertrug. Er wandte sich ab, sein Blick fiel auf das Foto der Tochter. Matilde lächelte den Eltern zu. Justina folgte seinem Blick. Dann murmelte sie langsam:
    »Du willst wissen, ob es wahr ist? Ich soll dir sagen, ob es wahr ist? Soll ich dir die Wahrheit erzählen?«
    Caetano zögerte. Wieder ging ihm der Gedanke durch den verwirrten Kopf: »Und was, wenn es wahr ist?« Justina hakte nach:
    »Willst du die Wahrheit wissen?«
    Mit einem Satz stieg sie aus dem Bett. Sie drehte das Foto ihrer Tochter um – nun lächelte Matilde in den Spiegel, der ihr die Gestalten der Eltern zeigte.
    »Willst du die Wahrheit wissen?«
    Sie griff an den Saum ihres Nachthemds und zog es sich mit einer raschen Bewegung über den Kopf. Dann stand sie nackt vor ihrem Mann. Caetano machte den Mund auf, wollte irgendetwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Justina sagte:
    »Hier! Sieh mich an! Hier hast du die Wahrheit, die du wissen willst. Sieh mich richtig an! Nicht wegsehen! Hierher!«
    Als gehorchte er den Anweisungen eines Hypnotiseurs, richtete Caetano den Blick auf sie. Auf ihren mageren, bräunlichen Körper, dunkler noch durch die Magerkeit, die spitzen Schultern, die weichen, schlaffen Brüste, den eingefallenen Bauch, die dünnen Schenkel, die steif im Rumpf wurzelten, die großen, deformierten Füße.
    »Sieh genau hin«, befahl Justinas Stimme abermals, und sie war so angespannt, als wollte sie gleich brechen. »Sieh genau hin. Wenn nicht mal du mich willst, du, der ja mit allem zufrieden ist, wer sollte mich dann wollen? Sieh genau hin! Soll ich so stehen bleiben, bis du sagst, dass du mich gesehen hast? Los, sag es!«
    Justina zitterte. Sie fühlte sich erniedrigt, nicht weil sie sich ihrem Mann so nackt zeigte, sondern weil sie ihrer Empörung nachgegeben hatte, weil sie nicht imstande gewesen war, mit stummer Verachtung zu reagieren. Jetzt war es zu spät, und sie konnte nicht mehr zeigen, was sie fühlte.
    Sie ging auf ihren Mann zu.
    »Ach, und jetzt schweigst du? War es das, wofür du dir diese Komödie ausgedacht hast? Ich sollte mich in diesem Zustand vor dir schämen? Aber das tue ich nicht. Das ist der beste Beweis meiner Verachtung für dich!«
    Caetano stürmte aus dem Schlafzimmer. Justina hörte, wie er die Wohnungstür öffnete und die Treppe hinunterlief. Dann setzte sie sich ins Bett und begann zu weinen, ganz lautlos, erschöpft von der Anstrengung. Als schämte sie sich jetzt, da sie allein war, ihrer Blöße, zog sie die Decke hoch.
    Matildes Foto stand noch immer dem Spiegel zugewandt, ihr Lächeln war unverändert. Ein fröhliches Lächeln, das Lächeln eines Kindes, das zum Fotografen geht. Und der Fotograf hatte gesagt: »So, ja, genau so! Achtung! Fertig! Das ist hübsch geworden.« Und Matilde war an der Hand der Mutter hinausgegangen, rundum zufrieden, weil es hübsch geworden war.

25
    D ie Aussicht, noch drei Monate lang von seiner Tochter jeweils die fünfhundert Escudos entgegenzunehmen, die Paulino zu zahlen versprochen hatte – oder genauer gesagt wenig mehr als vierhundertfünfzig nach Abzug der gesetzlichen Abgaben –, diese Aussicht gefiel Anselmo nicht. Wer garantierte ihm, dass der Mann ihr nach Ablauf dieser drei Monate eine Gehaltserhöhung geben würde? Es

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