Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Donizettis
Lucia di Lammermoor
. Die hohen Töne einer Sopranstimme waren zu hören. Eher um die Stimmung zu sondieren, als um Kritik zu äußern, erklärte Cândida:
»Was für eine Stimme … Man könnte meinen, die schlägt Purzelbäume!«
Die Töchter lachten so gezwungen und unnatürlich, wie die Stimmenakrobatik der Sängerin klang. Cândida wurde unruhig. Ihre Schwester hatte recht. Zwischen ihren Töchtern war etwas. Noch nie hatte sie die beiden so reserviert und distanziert erlebt. Man konnte meinen, sie hätten voreinander Angst. Sie wollte etwas Versöhnliches sagen, doch ihre Kehle war plötzlich ausgetrocknet, kein Wort kam heraus. Isaura und Adriana arbeiteten weiter. Die Sängerin ließ ihre Stimme in einem fast unhörbaren Smorzando ausklingen. Das Orchester spielte drei rasche Akkorde, dann erhob sich kräftig und packend die Stimme des Tenors.
»Wie wunderbar Gigli singt!«, rief Cândida, um überhaupt etwas zu sagen.
Die Schwestern sahen sich an, sie zögerten, jede hoffte, die andere würde sprechen. Beide hatten das Gefühl, sie müssten etwas antworten. Schließlich sprach Adriana:
»Ja. Er singt sehr schön. Aber er ist alt.«
Glücklich, weil sie die Stimmung der gemütlichen Abende wiederbeleben konnte, wenn auch nur für wenige Minuten, verteidigte Cândida Gigli.
»Das besagt gar nichts. Hör nur … Er ist einmalig. Und dass er alt ist … Alte Leute haben auch ihren Wert! Ich wüsste keinen, der besser ist als er! Die Alten sind mehr wert als mancher Junge …«
Isaura senkte den Kopf, als bereitete ihr das Hemd, das sie auf dem Schoß hatte, ein schwieriges Problem. Die Bemerkung der Mutter über den Wert von Alten und Jungen trieb ihr die Röte ins Gesicht, auch wenn die Worte sie nur entfernt treffen konnten. Wie alle, die ein Geheimnis hüten, sah sie in sämtlichen Äußerungen und Blicken gleichsam Anspielungen und Verdächtigungen. Adriana merkte, dass ihre Schwester verwirrt war, ahnte den Grund und wollte das Gespräch beenden.
»Ältere Leute nörgeln immer an den Jungen herum!«
»Aber ich nörgle doch gar nicht«, wandte Cândida ein.
»Ich weiß.«
Zu diesen Worten machte Adriana eine gereizte Handbewegung. Normalerweise war sie ruhig, fast apathisch, hatte nicht das Temperament ihrer Schwester, das unter der Oberfläche lauert und auf ein intensives, ungestümes Innenleben schließen lässt. Doch jetzt war sie erregt. Jedes Gespräch ging ihr auf die Nerven, und vor allem die ewig ratlose, besorgte Miene der Mutter. Ihr demütiger Tonfall hatte sie geärgert.
Cândida bemerkte, wie unwirsch Adriana antwortete, und schwieg. Sie machte sich auf ihrem Stuhl noch kleiner, griff zu ihrem Häkelzeug und versuchte, unsichtbar zu sein.
Hin und wieder warf sie verstohlen einen Blick auf die Töchter. Isaura hatte noch kein Wort gesagt. Sie war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie die Musik anscheinend gar nicht wahrnahm. Vergeblich schmetterten Gigli und Totti dal Monte ein Liebesduett – Isaura hörte nicht hin, Adriana auch kaum. Nur Cândida ließ sich trotz ihrer Sorgen von Donizettis leichter, lieblicher Melodie in den Bann ziehen. Auf die Häkelmaschen und den Takt konzentriert, dachte sie schon bald nicht mehr an ihre Töchter. Die Stimme ihrer Schwester, die sie aus der Küche rief, holte sie zurück in die Gegenwart.
»Nun?«, fragte Amélia, als Cândida in der Küche erschien.
»Mir ist nichts aufgefallen.«
»Das hatte ich mir schon gedacht …«
»Ach, hör mal … du bildest dir das nur ein! Wenn du erst einmal misstrauisch bist …«
Amélia riss die Augen auf, als redete ihre Schwester ihrer Ansicht nach dummes Zeug oder, schlimmer noch, Unanständigkeiten. Cândida wagte nicht, ihren Satz zu Ende zu sprechen. Mit einem Achselzucken zum Zeichen, dass sie die Hoffnung aufgab, verstanden zu werden, erklärte Amélia:
»Ich gehe dem nach. Es war dumm von mir, zu glauben, ich könnte auf dich zählen.«
»Vermutest du denn etwas Bestimmtes?«
»Das sage ich nicht.«
»Du solltest es mir aber sagen. Schließlich sind es meine Töchter, und ich möchte es wissen …«
»Du wirst es schon rechtzeitig erfahren!«
Cândida reagierte überraschend verärgert.
»Ich halte das alles für Blödsinn. Deine fixen Ideen …«
»Fixe Ideen? Starke Worte! Ich mache mir Sorgen wegen deiner Töchter, und du nennst das fixe Ideen?«
»Aber, Amélia …«
»Nichts da mit Amélia. Lass mich meine Arbeit machen und kümmere du dich um deine. Du
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