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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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und das genügt!«
    »Du willst damit sagen, dass mich euer Leben nichts angeht, stimmt’s? Ich weiß sehr wohl, dass ich nur deine Schwester bin und dass dies nicht meine Wohnung ist, aber dass du mir das auf diese Weise zu verstehen gibst, das hätte ich nie gedacht!«
    »Du ziehst völlig falsche Schlüsse. Das habe ich gar nicht gesagt!«
    »Für einen Kenner …«
    »Auch Kenner irren sich manchmal …«
    »Cândida!«
    »Jetzt wunderst du dich, ja? Dein blödes Misstrauen macht mich nervös. Schluss jetzt mit dieser Diskussion. Es ist traurig, dass wir uns wegen so etwas streiten.«
    Ohne eine Antwort der Schwester abzuwarten, verließ sie den Raum, die Hände vor den Augen. Amélia blieb reglos stehen, ihre Finger krampften sich um die Stuhllehne, und auch ihre Augen waren feucht. Abermals hätte sie am liebsten zu ihrer Schwester gesagt, dass sie nichts wusste, doch ihr Stolz hielt sie zurück.
    Ja, der Stolz, doch mehr noch die Tatsache, dass ihre Nichten wieder ins Zimmer kamen. Sie kamen lächelnd herein, doch Amélias scharfer Blick sah, dass es ein falsches Lächeln war, ein Lächeln, das sie hinter der Tür wie eine Maske auf ihre Lippen geklebt hatten. Sie dachte: »Die beiden verabreden sich, um uns zu täuschen.« Das bestärkte sie noch mehr in ihrem Entschluss, herauszufinden, was hinter dem gespielten Lächeln steckte.

24
    C aetano sann auf Rache. Er war gedemütigt worden und wollte sich rächen. Tausendfach warf er sich vor, feige zu sein. Er hätte seine Frau mit Füßen treten sollen, wie er es angedroht hatte. Sie mit seinen dicken, behaarten Fäusten schlagen, mit seiner rasenden Wut durch die ganze Wohnung jagen. Das hatte er nicht fertiggebracht, dazu hatte ihm der Mut gefehlt, und nun wollte er sich rächen. Aber er wollte eine perfekte Rache, die sich nicht auf Schläge beschränkte. Eine Rache, die raffinierter, ausgeklügelter war, was nicht bedeutete, dass sie nicht durch Gewalttätigkeiten ergänzt werden konnte.
    Wenn er an die demütigende Szene dachte, bebte er vor Wut. Er bemühte sich, diese Stimmung aufrechtzuerhalten, doch kaum öffnete sich die Wohnungstür, fühlte er sich machtlos. Er wollte sich einreden, es sei das gebrechliche Äußere seiner Frau, das ihn hindere, wollte seiner eigenen Schwäche den Anstrich von Mitleid geben, litt aber Qualen, weil ihm bewusst war, dass nichts anderes als Schwäche dahintersteckte. Er dachte sich Mittel und Wege aus, seine Verachtung für sie zu steigern – sie revanchierte sich mit noch größerer Verachtung. Er gab ihr weniger Haushaltsgeld, nahm davon aber schnell wieder Abstand, denn den Schaden trug er allein: Justina brachte weniger Essen auf den Tisch. Zwei ganze Tage lang (er träumte sogar davon) dachte er daran, das Foto ihrer Tochter und die Erinnerungsstücke zu verstecken oder aus der Wohnung zu schaffen. Er wusste, das wäre der furchtbarste Schlag, den er seiner Frau versetzen konnte.
    Angst hielt ihn davon ab. Nicht Angst vor seiner Frau, sondern vor den möglichen Konsequenzen der Tat. In seiner Vorstellung hatte eine solche Tat starke Ähnlichkeit mit einem Frevel. Fraglos würde sie größtes Unglück über ihn bringen: Tuberkulose zum Beispiel. Mit seinen neunzig Kilo Fleisch und Knochen und seiner unverschämten Gesundheit fürchtete er Tuberkulose als das schlimmste aller Übel und reagierte mit morbidem Entsetzen allein auf den Anblick eines daran Erkrankten. Schon bei der bloßen Erwähnung der Krankheit schauderte es ihn. Selbst wenn er an der Setzmaschine die Originale kopierte (eine Tätigkeit, an der das Gehirn nicht beteiligt war, zumindest musste er nicht verstehen, was er las) und das furchtbare Wort vorkam, konnte er ein Zusammenzucken nicht verhindern. Das geschah so häufig, dass er zu der Überzeugung gelangte, der Chef der Setzerei kenne seine Schwäche und schicke ihm alles, was die Zeitung über Tuberkulose veröffentlichte. Zwangsläufig kamen ihm die Berichte von Ärztekonferenzen in die Hände, auf denen die Krankheit diskutiert wurde. Die mysteriösen Begriffe, mit denen solche Berichte gespickt waren, schwierige Wörter mit furchterregendem griechischen Klang, scheinbar speziell zu dem Zweck ersonnen, empfindsame Menschen zu erschrecken, setzten sich wie Saugnäpfe in seinem Kopf fest und begleiteten ihn über viele Stunden.
    Abgesehen von diesem nicht realisierbaren Plan flüsterte seine blutleere Phantasie ihm lediglich Ideen ein, die sich nur dann würden umsetzen lassen, wenn er mit

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