Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
verwunderlich, wenn es für ihn eine bequeme Zukunft vorgesehen hätte. Er fand sogar, das Leben schulde ihm eine Unmenge an Dingen und er habe das Recht, auf ein Begleichen dieser Schuld zu hoffen.
An diesem Abend gab es kein Strümpfestopfen, keine Stenographie und kein Aufstellen der Nationalmannschaft. Nach Maria Claudias begeistertem Bericht hielt der Vater ein paar Ratschläge für angebracht.
»Du musst sehr vorsichtig sein, Claudia. Überall gibt es Neider, und ich weiß, wovon ich spreche. Wenn du zu schnell aufsteigst, werden deine Kollegen neidisch werden. Sei vorsichtig …«
»Ach, Papa, die sind doch alle so nett!«
»Ja, jetzt. Aber dann nicht mehr. Du musst dich um ein gutes Verhältnis zu deinem Chef und zu den Kollegen bemühen. Sonst fangen sie an, Intrigen zu spinnen, und schaden dir womöglich. Ich kenne das.«
»Ja, gut, Papa, aber du kennst mein Büro nicht. Das sind alles ordentliche Leute. Und Senhor Morais ist großartig!«
»Mag sein. Aber hast du noch nie Schlechtes über ihn gehört?«
»Ach, nur unwichtiges Zeug!«
Rosália wollte sich am Gespräch beteiligen.
»Hör zu, dein Vater hat viel Erfahrung, mein Kind. Dass er nicht weitergekommen ist, liegt daran, dass sie ihm die Beine abgeschlagen haben!«
Die Erwähnung dieses brutalen Vorgangs löste nicht das Befremden aus, das vollkommen gerechtfertigt gewesen wäre im Hinblick auf den Umstand, dass Anselmos untere Gliedmaßen noch mit ihrem Besitzer verbunden waren. Ein Ausländer, der sich mit den portugiesischen idiomatischen Redewendungen nicht auskannte und deshalb alles, was er hörte, wortwörtlich nahm, hätte geglaubt, er befinde sich in einem Irrenhaus, als Anselmo ernst nickte und aus tiefer Überzeugung erklärte:
»Das stimmt. Genauso war es.«
»Na gut! Aber lassen wir das. Ich weiß, worauf es ankommt.«
Mit diesen Worten beendete Claudia das Gespräch. Der Grund für ihr zuversichtliches Lachen konnte nur sein, dass sie sich ganz sicher war, »was zu tun ist«. Worum es sich dabei handelte, wusste niemand, vielleicht nicht einmal sie selbst. Weil sie jung und hübsch war, freiheraus sprach und lachte, glaubte sie wohl, dass sich aus diesen Attributen ergeben würde, »was zu tun ist«. Jedenfalls ließ die Familie es dabei bewenden.
Doch war es mit diesen Attributen nicht getan. Das stellte Maria Claudia selbst fest. In Sachen Stenographie ging es nicht voran. Für die Grundlagen war es gut, mit einem Buch zu arbeiten. Dann aber wurde es schwieriger, und auf sich allein gestellt, machte Maria Claudia keine Fortschritte. Jede Seite brachte unüberwindbare Schwierigkeiten. Anselmo wollte helfen. Zwar verstand er nichts davon, doch er hatte ja dreißig Jahre Büroerfahrung und viel Praxis. Er verfasste Briefe im besten Geschäftsstil, und – verflixt noch mal! – Stenographie war ja wohl keine Geheimwissenschaft! Geheimwissenschaft hin, Geheimwissenschaft her, er brachte alles durcheinander. Seine Tochter bekam eine Nervenkrise. Über das Versagen ihres Mannes verärgert, schimpfte Rosália auf die Stenographie.
Gerettet wurde die Situation von Maria Claudia, was für ihre Behauptung sprach, sie wisse, »worauf es ankam.« Sie verkündete, sie brauche einen Lehrer, der ihr abends ein paar Stunden Unterricht gebe. Anselmo sah sofort die zusätzlichen Ausgaben, doch dann betrachtete er sie als investiertes Kapital, das in gut zwei Monaten die ersten Zinsen abwerfen würde. Er übernahm es, einen Lehrer zu suchen. Claudia nannte ihm ein paar private Schulen, alle mit imposanten Namen, in denen das Wort »Institut« vorkam. Der Vater lehnte ihre Vorschläge ab. Erstens, weil sie teuer waren; zweitens, weil er glaubte, man könne nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Jahres eintreten; und drittens, weil er von »Gemischtklassen« gehört hatte, und das wollte er für seine Tochter nicht. Nach ein paar Tagen fand er den Richtigen: einen alten pensionierten Lehrer, ein ehrbarer Mensch, bei dem ein neunzehnjähriges Mädchen nicht das geringste Risiko einging. Abgesehen davon, dass er nicht viel verlangte, bot er noch den unschätzbaren Vorteil, den Unterricht zu anständiger Zeit zu geben, sodass Claudia nicht nachts durch die Straßen laufen musste. Wenn sie um sechs aus dem Büro kam, fuhr sie mit der Straßenbahn nach São Pedro de Alcântara, wo der Lehrer wohnte, dafür brauchte sie nicht mehr als eine halbe Stunde. Der Unterricht ging bis halb acht, wenn es noch nicht richtig dunkel wurde. Für den
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