Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Büro auf mich warten musst. Senhor Morais hat immer Arbeit, für die ich Überstunden machen muss.«
»Ist gut. Das spielt keine Rolle.«
Claudia machte den Mund auf. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wollte sie dem Vater widersprechen. Aber sie schwieg und lächelte unbestimmt.
26
S eit er sein freies Leben führte, hatte Abel sich so manches Mal gefragt: »Wofür?« Die Antwort lautete immer gleich und war auch die bequemste: »Für nichts.« Und wenn seine Gedanken ihm keine Ruhe ließen, »Nichts kann es nicht sein. Dann lohnte es nicht«, fügte er hinzu: »Ich lasse mich treiben. Es wird schon irgendwohin führen.«
Ihm war sehr wohl klar, dass »es«, sein Leben, nirgendwohin führen würde, dass er sich wie der Geizige verhielt, der Gold nur hortet, um sich an seinem Anblick zu ergötzen. In seinem Fall ging es nicht um Gold, sondern um Erfahrung, dem einzigen Nutzen seines Lebens. Doch ungenutzte Erfahrung ist wie gehortetes Gold: Sie bringt nichts hervor, leistet nichts, ist wertlos. Und niemand hat etwas davon, wenn er Erfahrungen wie Briefmarken sammelt.
Die spärliche, kaum verarbeitete Lektüre von philosophischen Texten, angefangen von Schulbüchern bis hin zu verstaubten, in den Antiquariaten der Calçada do Combro ausgegrabenen Heften, befähigte ihn, zu denken und zu sagen, er wolle den verborgenen Sinn des Lebens finden. Doch an Tagen, da er von seinem Dasein enttäuscht war, hatte er bisweilen einsehen müssen, dass dieser Wunsch utopisch war und dass seine zahlreichen Erfahrungen den Schleier, den zu durchdringen er anstrebte, lediglich noch dichter machten. Da seinem Leben ein konkreter Sinn fehlte, musste er sich auf einen Wunsch stützen, der inzwischen keiner mehr war und nun einen so guten oder schlechten Lebensinhalt wie jeder andere darstellte. An solch düsteren Tagen, wenn er sich von der Leere der Sinnlosigkeit umgeben sah, empfand er Überdruss. Er versuchte, diesen Überdruss seinem täglichen Kampf ums Überleben zuzuschreiben, der bedrückten Stimmung, wenn die Mittel zum Überleben auf ein Minimum geschrumpft waren. Ganz fraglos spielte all dies eine Rolle: Hunger und Kälte sind anstrengend. Aber das genügte nicht. Er hatte sich an alles gewöhnt, und was ihn anfangs geängstigt hatte, war ihm inzwischen nahezu gleichgültig. Körper und Geist hatten sich eine Schutzschicht gegen Schwierigkeiten und Entbehrungen zugelegt. Er wusste, dass er sie mehr oder weniger mühelos überwinden konnte. Im Laufe seines Lebens hatte er so vieles gelernt, dass es ihm relativ leichtfallen würde, eine feste Stelle zu finden, die ihm das Lebensnotwendige sicherte. Doch hatte er nie versucht, diesen Schritt zu tun. Er wolle sich nicht binden, sagte er, und das stimmte. Doch wollte er sich deshalb nicht binden, weil er dann einsehen müsste, dass sein bisheriges Leben sinnlos gewesen war. Was wäre gewonnen, wenn er einen so großen Bogen geschlagen hatte, um schließlich auf dem Weg zu landen, auf dem sich all jene bewegten, von denen er entschieden Abstand halten wollte? »Wollt ihr mich alltäglich, nichtig, verheiratet, steuerpflichtig?«, hatte Fernando Pessoa gefragt. »Ist es das, was das Leben von allen Menschen erwartet?«, fragte sich Abel.
Den verborgenen Sinn des Lebens … »Aber der verborgene Sinn des Lebens besteht darin, dass es keinerlei verborgenen Sinn hat.« Abel kannte Pessoas Gedichte. Er hatte sie zu einer zweiten Bibel gemacht. Vielleicht verstand er sie nicht ganz oder sah in ihnen etwas, was sie nicht enthielten. Auch wenn er den Verdacht hatte, dass Pessoa so manches Mal mit dem Leser Spott trieb, hatte er sich daran gewöhnt, den Dichter selbst in seinen Widersprüchen zu respektieren. Er zweifelte nicht an seiner Bedeutung als Dichter, doch mitunter, vor allem an den sinnlosen Tagen der Enttäuschung, schien ihm vieles in Pessoas Lyrik zweckfrei. »Aber was ist daran schlecht?«, dachte Abel. »Darf Lyrik nicht zweckfrei sein? Doch, das darf sie, und schlecht ist daran gar nichts. Aber gut? Was ist an zweckfreier Lyrik gut? Lyrik ist vielleicht wie ein sprudelnder Quell, wie das Wasser, das in den Bergen entspringt, ganz einfach und selbstverständlich, zweckfrei in sich selbst. Wen es nach Menschlichkeit dürstet, der wird seinen Durst bei Pessoa nicht löschen – das wäre, als tränke er Salzwasser. Und dennoch, welch wunderbare Lyrik und wie faszinierend! Zweckfrei, ja, doch was macht das, wenn ich tief in mich gehe und feststelle, dass ich
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