Clarissa - Wo der Himmel brennt
bedankte sich noch einmal und kehrte ins Hotel zurück. Der Besitzer fragte sie, ob sie ihre Freundin gefunden hätte, und sie berichtete, dass Dolly in Aunt Millie’s Roadhouse arbeiten würde, ließ sich aber nicht auf eine Unterhaltung ein, sondern fragte ihn nach einem heißen Bad. Er verwies auf die Wannen im Anbau und wies seine erwachsene Tochter an, ihr behilflich zu sein. Das heiße Wasser tat gut nach der hektischen Fahrt. Sie wusch sich mit der teuren Lavendelseife, die ihr die Tochter des Besitzers reichte, und genoss noch einen Augenblick die Wärme. Womöglich wäre sie in der Wanne eingeschlafen, wenn die junge Frau nicht geklopft hätte. »Schon fünf Uhr«, rief sie. Anscheinend wusste auch sie, wann Clarissa mit dem Mountie verabredet war.
Weder sie noch ihr Vater wussten jedoch, wie entscheidend die Begegnung mit dem Inspector für Clarissa war, und dass sie die nächste Nacht vielleicht schon im Gefängnis zubringen würde, falls Sherburne keinen Ausweg fand.
Sie machte sich so hübsch wie möglich, zog den schwarzen Rock und die gemusterte Bluse an und schlüpfte in die neuen Schuhe, die Soapy Smith ihr gekauft hatte. Das Kleid würde sie Dolly mitbringen. Vor dem Spiegel drehte sie ihre Haare zu einem festen Knoten, der sie etwas streng aussehen ließ, ihr anmutiges Gesicht mit den dunklen Augen aber noch besser zur Geltung brachte. Auch die Handtasche war ein Geschenk von Soapy Smith, aber eine eigene besaß sie leider nicht mehr. Nachdem sie ihr Gesicht noch einmal gemustert und ihren Mantel angezogen hatte, ging sie in die Lobby hinunter.
Sherburne wartete bereits auf sie, er trug diesmal seine rote Ausgehuniform, die ihn noch stattlicher aussehen ließ. »Sie sehen wunderschön aus«, sagte er, und ihr fiel auf, dass sie diesen Satz schon zum zweiten Mal von einem anderen Mann hörte und auch zum zweiten Mal mit einem anderen Mann als Alex ausging. Für einen Moment kam sie sich wie eine Betrügerin vor, doch sie besann sich anders und sagte sich, dass sie Alex nicht hinterging. Obwohl sie zu zweit in einsamen Hütten übernachtet hatten, war nie etwas zwischen Sherburne und ihr gewesen. Er war ein untadeliger Gentleman, der auch dann nichts überstürzen und sehr zurückhaltend um sie werben würde, falls Alex tatsächlich tot war. Er würde ihr genug Zeit geben, über den Tod ihres Mannes hinwegzukommen. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen.
Sie hängte sich bei dem Mountie ein und überquerte mit ihm die Straße. Sherburne hatte einen Tisch im Klondike reserviert und lächelte zufrieden, als man ihnen einen der begehrten Tische am Fenster zuwies. »Zwei Gläser Champagner!«, bestellte er bei dem vornehm gekleideten Ober, einem sehr ernsten Mann, der auf jede Bestellung mit »Sehr wohl, der Herr!« antwortete.
»Champagner?«, fragte Clarissa. Sie wusste inzwischen, welche unverschämten Preise im »Paris des Nordens« verlangt wurden, Hatte sie sich etwa getäuscht? Hatte Sherburne vor, ihr einen Antrag zu machen? Sie verbarg nur mühsam ihre Angst. »Haben wir denn etwas zu feiern?«, fragte sie vorsichtig.
»Und ob!«, antwortete er aus voller Überzeugung. Er wartete, bis der Ober den Champagner gebracht hatte, und stieß fröhlich mit ihr an. »Ich trinke auf Clarissa Carmack, deren Haftbefehl schon vor einigen Tagen widerrufen wurde, und die keine Angst mehr haben muss, von einem Gericht in Vancouver belangt zu werden. Sie sind eine freie Frau, Clarissa, frei wie ein Vogel!«
Sie brauchte eine Weile, bis sie die gute Nachricht verarbeitet hatte. Ihre Überraschung war so groß, dass sie zu trinken vergaß, ihr Glas auf den Tisch stellte und ungläubig fragte: »Ist das wahr, Paul? Ist das wirklich wahr?«
»So wahr ich hier sitze.« Er verzog sein Gesicht, als er den Champagner auf der Zunge spürte. Er zog ein Schreiben der Polizei in Vancouver aus seiner Jackentasche und reichte es ihr. »Den Brief hat ein Kurier aus Vancouver mitgebracht. Die Canadian Pacific ist in einen Bestechungsskandal verwickelt, der einige Manager den Posten gekostet hat, unter anderem Thomas Whittler und seinen Sohn. Es geht um irgendwelche Grundstücke am Fraser River. Kaum ging die Meldung über den Telegraph, zog der angebliche Zeuge, ein Rechtsanwalt, der gegen Sie vor Gericht auftreten sollte, seine Aussage zurück. Ist das nicht wunderbar, Clarissa? Die Whittlers haben ausgespielt. Sie haben nichts mehr zu befürchten. Frank Whittler ist endgültig am Ende.«
Clarissa konnte es noch
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