Clarissa - Wo der Himmel brennt
immer nicht glauben und überflog das offizielle Schreiben der Vancouver Police. Darin bestätigte die oberste Dienststelle, was Sherburne ihr bereits erzählt hatte, und stellte außerdem fest, dass man beide Whittlers wegen des dringenden Verdachts der Bestechung festgenommen habe. »… wird hiermit der Haftbefehl gegen Clarissa Carmack aufgehoben.« Der Satz, auf den sie so lange gewartet hatte, hier stand er tatsächlich.
»Ich bin frei? Wirklich frei?« Sie konnte es noch immer nicht fassen.
»Jetzt sitzt Frank Whittler hinter Schloss und Riegel«, erwiderte er. »Ich bezweifle zwar, dass er und sein Vater lange im Gefängnis bleiben, solche Leute finden immer wieder einen Weg nach oben, aber Sie haben nichts mehr von ihm zu befürchten.« Er hob sein Glas. »Mögen Sie keinen Champagner?«
»Heute schon«, sagte sie und prostete ihm zu.
37
Sherburne bestand darauf, sie zu Aunt Millie’s Roadhouse zu fahren, und holte sie am nächsten Morgen ab. Das Wetter zeigte sich von seiner freundlichsten Seite, sogar die Sonne ließ sich zwischen den Wolken blicken, und der über Nacht gefallene Schnee ließ sogar die Front Street im besten Licht erscheinen. Kühler Wind strich vom Yukon River herauf und wirbelte dünne Schleier auf.
Clarissa hatte bereits ihren Rucksack gepackt und wartete in der Eingangshalle auf ihn. Sie hatte lange nicht mehr so gut und tief geschlafen und war so erleichtert über ihre wundersame Rettung, dass selbst die Bilder des Mannes, der sie an Alex erinnert hatte, im Hintergrund geblieben waren. Erst als sie am frühen Morgen aus dem Fenster geblickt und dem morgendlichen Konzert der Huskys gelauscht hatte, erinnerte sie sich wieder daran. Hatte der Leithund des Mannes, dem sie gefolgt war, nicht wie Smoky ausgesehen? Hatte er seinen linken Vorderlauf nicht kaum merklich nachgezogen? Oder vermischten sich in ihrer Wahrnehmung bereits Wunschdenken und Realität?
Sherburne war bester Laune, er schien sich beinahe so sehr wie sie über die Aufhebung des Haftbefehls zu freuen. »Ich verbinde den Ausflug zum Roadhouse mit einer Patrouillenfahrt«, erklärte er, während er ihren Rucksack auf dem Schlitten verstaute, »dann gibt es keinen Ärger mit dem Superintendenten.«
In der Stadt war schon allerhand Betrieb, und Sherburne musste mehreren Fuhrwerken und Hundeschlitten ausweichen, während er seine Hunde über die Front Street lenkte. Clarissa hatte es sich auf dem Schlitten bequem gemacht und genoss die helle Wintersonne. Sie freute sich auf ein Wiedersehen mit Dolly. Die Engländerin hatte ihr schon vor dem Tod ihres Mannes imponiert, sie erinnerte sie an die Frau eines jungen Fischers in Vancouver, die nur einen Monat ihre Trauerkleidung getragen hatte, nachdem ihr Mann von einer Fahrt nicht zurückgekehrt war, und dann selbst seinen Platz eingenommen hatte. Clarissa hoffte, ein Stück ihres Weges gemeinsam mit ihr gehen zu können. Sie würden sich gegenseitig helfen, ihr Schicksal zu meistern, vorausgesetzt, im Roadhouse gab es auch für sie Arbeit, und sie bekam die Gelegenheit, sich eine Existenz aufzubauen, bevor der Frühling kam.
Sie nahmen denselben Trail wie sie, als sie dem Unbekannten, der sie an Alex erinnert hatte, über den Yukon River gefolgt war, und fuhren am jenseitigen Ufer durch einen dichten Bestand von Schwarzfichten. Es gab kaum nennenswerte Hindernisse auf der breiten Wagenstraße. Hinter dem Wäldchen wurde sie steiler, zog sich in sanften Windungen eine Anhöhe hinauf und führte über einen breiten Pass, von dem man einen herrlichen Ausblick auf den Yukon River und die oberhalb der Mündung des Klondike Rivers gelegene Stadt hatte. Aus der Ferne betrachtet wirkte selbst Dawson City wie eine friedliche Siedlung abseits der Zivilisation, und wenn man dem Yukon mit den Augen folgte, wurde einem erst richtig bewusst, wie gewaltig und scheinbar unendlich der Hohe Norden war. Hier würde die Natur immer die Oberhand behalten, denn so hatte sich Gott die Erde wohl vorgestellt, und weder Goldsucher noch Holzfäller und andere Eindringlinge konnten sie jemals zerstören. So hatte dieses Land schon vor hundert Jahren ausgesehen, und so würde es sich auch in weiteren hundert Jahren präsentieren.
Sherburne hielt den Schlitten an und sicherte ihn mit dem Anker. »Für diesen Ausblick lohnt sich die Anstrengung, nicht wahr?«, sagte der Mountie.
Clarissa stieg vom Schlitten und trat neben ihn.
Beinahe andächtig blickten sie in das weite Tal des Yukon Rivers. Die
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