Clarissa
die Leute wie durch ihre Augen. »Das sind Gavins Männer, ein paar von meinen Leuten und einige von Stephens Gefolge. Diese Männer sind Montgomerys, Vettern, glaube ich. Du mußt Gavin nach ihrem genauen Verwandtschaftsgrad fragen. « Er deutete auf das Ende der Tafel. »Einige der Kostgänger sind die Männer der Burgbesatzung. Du kannst ja Judith danach fragen. Ich bin sicher, sie weiß den Namen von jedem. «
»Ist deine Gefolgschaft auch so groß? « fragte sie mit rauhem Flüstern.
»Nein«, grinste er. »Meine Ländereien sind klein im Vergleich zu diesem Besitz. Judith ist die Reiche in der Familie. Sie brachte großen Reichtum mit, als sie einen Montgomery heiratete, und sie muß so viele Leute versorgen. Sie ist ständig beim Kaufen und Verkaufen und beim Zählen der Getreidesäcke in den Lagerräumen. «
»Ich? « fragte Clarissa furchtsam.
Raine brauchte eine Weile, bis er sie verstand. »Du meinst, ob du meine Ländereien verwalten mußt? Ich wüßte nicht, warum nicht. Du kannst lesen und schreiben. Das ist mehr, als ich kann. « Er sah zur Seite, als einer seiner Vettern ihn anredete.
Clarissa hatte Mühe, bei der Mahlzeit mitzuhalten, und nach einer Weile saß sie still am Tisch, während ein Gang nach dem anderen in die Halle getragen wurde. Die meisten Gerichte kannte sie gar nicht, und neue Namen und Gewürze verwirrten sie völlig.
Nach einem langen Mahl stand Raine auf und stellte sie den Leuten vor, die sie mit lauten Zurufen willkommen hießen.
Judith fragte Clarissa, ob sie sich hinlegen wolle, und zusammen gingen sie zurück auf Clarissas Zimmer.
»Es ist alles ein bißchen verwirrend, wie? « sagte Judith.
Clarissa nickte.
»Morgen haben wir Jahrmarkt im Dorf, und ich werde dafür sorgen, daß Raine ihn mit dir besucht. Du wirst Spaß daran haben, und mußt dich nicht mit so vielen Leuten befassen. Aber warum legst du dich jetzt nicht hin? Gavin und Raine bereiten eine Botschaft für Miles vor, und du kannst dich ein paar Stunden ausruhen, denn ich bin sicher, sie werden sich lange um den Text streiten. «
Als Clarissa ihr Kleid ausgezogen hatte und unter die Decke schlüpfte, nahm Judith ihre Hand. »Du hast nichts von uns zu befürchten. Wir sind von jetzt an deine Familie, und was du auch tust, wird unsere Zustimmung finden. Ich weiß, daß alles — «, sie deutete auf die elegante Ausstattung des Zimmers — »neu für dich ist; aber du wirst rasch lernen, und wir werden dir dabei helfen. «
»Vielen Dank«, flüsterte Clarissa und war schon eingeschlafen ehe Judith die Tür erreichte.
Niemand hätte Clarissa auf den Jahrmarkt vorbereiten können, der auf dem Weideland der Montgomerys errichtet war. Sie hatte lange und gut geschlafen, und als sie aufwachte, war ihre Stimme halbwegs wiederhergestellt. Der Ton war da, und sie war froh darüber, selbst wenn ihr noch die Musik fehlte.
»Glaubst du, ich werde wieder singen können! «
Raine lachte über die Angst in ihrer Stimme und half ihr beim Zuknöpfen des purpurfarbenen Kleides, das Judith für Clarissa hatte ändern lassen. »Ich bin sicher, daß die Vögel in ein paar Tagen in dein Zimmer fliegen werden, um dir zuzuhören. «
Lachend wirbelte sie im Zimmer herum, so daß sich der glockenförmige Rock um sie ausbreitete. »Ist es nicht herrlich? Es ist das schönste Kleid auf Erden. «
»Nein«, erwiderte Raine lachend und faßte nach ihr. »Du bist es, die es herrlich macht. Und nun höre auf, dich zu drehen, ehe meinem Kind schwindlig wird. Bist du bereit für den Jahrmarkt? «
Der Jahrmarkt war wie eine Stadt, eine Stadt, die von Leuten aus allen vier Ecken der Welt bevölkert war. Da gab es Ställe für Tiere, Käfige aus Blei und Zinn aus England, Buden mit spanischen Weinen, Waren aus Deutschland und italienische Tücher, Da waren Spielzeugläden, Ringwettkämpfe, Geschicklichkeitsspiele, Schlachter und Fischverkäufer.
»Wo fangen wir an? « fragte Clarissa, die sich an Raines Arm festklammerte. Sie waren von sechs Rittern aus Gavins Gefolge umgeben.
»Vielleicht ist meine Lady hungrig? « erkundigte sich ein Ritter.
»Oder durstig? «
»Würde Mylady lieber die Gaukler sehen oder die Akrobaten? «
»Ich hörte, daß dort ein guter Sänger Lieder zur Laute vorträgt. «
»Der Sänger«, entschied Clarissa, was Raine zum Lachen brachte.
»Möchtest du sehen, wie es um deine Konkurrenz bestellt ist? « neckte er sie.
Sie lächelte ihn an, zu glücklich, um sich von seinen Neckereien herausfordern zu
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