Clarissa
während die vier Männer ihn dort mit gezogenen Schwertern erwarteten. Er trug einen langen Teppich auf den Armen, hielt kurz vorm Zelteingang an, warf den Teppich auf den Boden, stieß mit dem Fuß dagegen und rollte ihn auf. «
»Und? « forschte Raine.
»Er entrollte sich zu Miles’ Füßen und enthüllte Fiona Chatworth, die nichts auf dem Körper trug außer ein paar Ellen blonder Haare. «
»Und was hat unser kleiner Bruder da getan? « fragte Raine, zwischen einem Lachen und Stöhnen hin-und hergerissen bei dem Bild, das sich soeben vor ihm entrollt hatte.
»Soweit ich erfahren konnte, standen alle Männer da und starrten regungslos auf Lady Fiona, bis sie aufsprang, ein Tuch von einer Koje riß und eine Axt aus einer Zeltecke nahm, um damit auf Miles loszugehen. «
»Wurde er verletzt? «
»Es gelang ihm, ihren Schlägen auszuweichen und die anderen Männer aus dem Zelt zu schicken. Als die Lady anfing, ihn mit Flüchen einzudecken, die schlimmer waren als alles, was man bisher gehört hatte, führte Sir Guy die Männer so weit von dem Zelt weg, daß man sie nicht mehr hören konnte. «
»Und zweifellos schnurrte sie am nächsten Morgen wie eine Katze«, sagte Raine lächelnd. »Unser kleiner Bruder weiß, wie man mit Frauen umzugehen hat. «
»Ich habe keine Ahnung, was danach passierte. Eine Stunde später brach sich der Mann, mit dem ich sprach, den Arm und wurde in Miles’ Haus zurückgeschickt. «
»Woher weißt du dann, daß sie nach Schottland gegangen sind? « fragte Raine.
»Ich ritt zu Miles’ Lagerplatz, und als ich dort niemanden antraf, erkundigte ich mich bei Kaufleuten in der Nähe. Miles und seine Männer waren schon vor einer guten Woche aufgebrochen, und mehrere Leute hatten gehört, wie sie sagten, sie wollten nach Schottland reiten. «
»Und niemand wußte, warum? «
»Wer kann schon sagen, was in Miles’ Kopf vorgeht? Ich bin mir sicher, daß er dem Mädchen nichts zuleide tut; aber ich fürchte, er wird sie gefangenhalten, um Chatworth zu bestrafen. «
»Miles würde mit einem Mann kämpfen, mit vielen Männern, aber er würde nie seine Zwistigkeit auf dem Rücken einer Frau austragen. Das ist Chatworth’ Werk«, sagte Raine grimmig. »Ich bin sicher, er hatte einen guten Grund dafür, sie aus England wegzubringen. Was gedenkst du nun zu tun? «
Gavin schwieg eine Weile still. »Ich werde es Stephen überlassen und abwarten, was er bei Miles auszurichten vermag. Zudem hat Alicia einen klaren und praktischen Verstand. Vielleicht kann sie Miles zur Vernunft bringen. «
Raine stellte sich im Waschzuber hoch. »Ich bezweifle, daß jemand Miles zur Vernunft bringen kann, wenn es um Frauen geht. Wenn die Frau länger als zehn Minuten dazu brauchte, sich in ihn zu verlieben, wäre es das erstemal, daß so ein Wunder geschieht. Vielleicht sah Miles in diesem Wunder eine Herausforderung. «
Gavin schnaubte. »Was für Gründe er auch haben mag, er fordert damit den Zorn des Königs heraus. König Heinrich hat sich verändert, seit sein ältester Sohn starb. «
Raine frottierte sich ab, trat aus dem Zuber und gab den Kleidern, die auf einem Haufen vor seinen Füßen lagen, einen Tritt. »Ich bin froh, wenn ich eine Weile diese Lumpen nicht mehr tragen muß. «
»Wie lang, glaubst du, kannst du bleiben? «
»Drei, höchstens vier Tage. Ich muß in das Lager zurück. «
»Sind deine Verbannten dir so wichtig? «
Raine dachte einen Moment nach. »Es sind nicht alle Verbrecher, und falls du so leben müßtest wie sie, kämst du vielleicht zu anderen Vorstellungen von Recht und Unrecht. «
»Stehlen ist unrecht, egal, was du bist«, sagte Gavin entschieden.
»Würdest du ruhig dabeisitzen, wenn Judith und dein neugeborener Sohn Hungers sterben müßten? Wenn du hungerst und ein Mann käme mit einem Karren voll Brot vorbei, würdest du auf deinen hohen moralischen Ansichten sitzen bleiben und das Brot nicht beachten? «
»Ich möchte darüber mit dir nicht streiten. Weiß Clarissa, daß du planst, in den Wald zurückzukehren? «
»Nein, noch nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es ihr sage, sondern mich nicht einfach davonstehle. Wenn ich das nicht tue, bin ich überzeugt, sie wird versuchen, mich zu begleiten. Ich möchte, daß sie hier bei dir und Judith bleibt. Ich möchte, daß sie einmal so leben kann, wie es ihr noch nie vergönnt war. «
Mit einer raschen Bewegung hob er seine alten Kleider auf, warf sie in eine Ecke und griff nach einem mit Silber bestickten
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