Clark Mary Higgins
Denny lehnte
sich in die Ecke und hielt den Kopf gesenkt. Er wollte dem Taxichauffeur nicht zuviel Gelegenheit geben, ihn im Rückspiegel
zu betrachten. Die einzige Bemerkung des Fahrers war: »Mistkerle. Wenn man Fürze verkaufen könnte, würden sie die auch
noch stehlen.« Das Englisch des Vietnamesen war erstaunlich
gut.
An der Ecke Seventh Avenue und 36. Straße fuhr das andere
Taxi gerade noch über die Kreuzung, ehe die Ampel auf Rot
umschaltete. Sie verpaßten den Anschluß. »Tut mir leid«, entschuldigte sich der Fahrer.
Denny wußte, daß Neeve wahrscheinlich schon beim nächsten
oder übernächsten Häuserblock aussteigen würde. Ihr Taxi
konnte in diesem dichten Verkehr nur dahinschleichen. »Sollen
sie mich doch rausschmeißen. Ich habe mein Bestes versucht.«
Er bezahlte den Fahrer und schlenderte zu Fuß weiter. Aus dem
Augenwinkel konnte er sehen, wie sein Taxi wieder anfuhr, weiter die Seventh Avenue hinunter. Rasch kehrte Denny um und
eilte zurück der 36. Straße zu.
Wie gewöhnlich herrschte auf den Straßen des Bekleidungsviertels Hochbetrieb. Riesige Lastwagen, die entladen wurden,
parkten in zwei Reihen nebeneinander auf der ganzen Straßenlänge und brachten den Verkehr beinahe zum Stillstand. Botenjungen auf Rollschuhen flitzten zwischen den Fußgängern hindurch; Angestellte der Lieferfirmen stießen, unbekümmert um
Menschen und Fahrzeuge, mit Kleidern vollgehängte Ständer
vor sich her. Hupen dröhnten. Nach der letzten Mode gekleidete
Männer und Frauen liefen, aufgeregt miteinander diskutierend,
vorbei, ohne auch nur im geringsten auf die Leute und den Verkehr ringsum zu achten.
Der ideale Ort für ein Attentat, dachte Denny befriedigt. Einen halben Häuserblock weiter sah er ein Taxi an den Straßenrand fahren und beobachtete, wie Neeve Kearney ausstieg. Ehe
Denny nahe an sie herankommen konnte, war sie bereits in einem Haus verschwunden. Er bezog auf der gegenüberliegenden
Straßenseite einen Beobachtungsposten, abgeschirmt von einem
der großen Lastwagen. »Statt teure Kleider auszusuchen, Neeve
Kearney, solltest du dir lieber ein Leichenhemd bestellen«,
murmelte er vor sich hin.
Der dreißigjährige Jim Greene war erst vor kurzem zum Inspektor bei der Kriminalpolizei befördert worden. Seine Fähigkeit, eine Situation rasch zu erfassen und instinktiv richtig zu
handeln, hatte ihm das Vertrauen seiner Vorgesetzten eingetragen.
Jetzt hatte man ihm die langweilige, aber überaus wichtige
Aufgabe zugeteilt, das Krankenhausbett des Inspektors Tony
Vitale zu bewachen. Es war kein beneidenswerter Job. Wäre
Tony auf der Privatstation gewesen, so hätte Jim vor seiner
Zimmertür Wache hatten können. Auf der Intensivstation mußte
er jedoch im Schwesternzimmer sitzen. Dort wurde er seine
ganze Acht-Stunden-Schicht lang ständig an die Vergänglichkeit
des Lebens erinnert, wenn die Monitore plötzlich Alarmsignale
von sich gaben und das Krankenpersonal herbeieilte, um den
Tod abzuwehren.
Jim, schlank und drahtig und nur mittelgroß, versuchte, in
dem kleinen, eng begrenzten Raum so wenig Platz wie möglich
einzunehmen. Nach vier Tagen behandelten ihn die Schwestern,
als gehöre er schon dazu. Und alle schienen sich ganz besonders
um den zähen jungen Polizisten zu sorgen, der um sein Leben
kämpfte.
Jim wußte, wieviel Mut es brauchte, sich als Polizeispitzel in
eine Gangsterbande einschleusen zu lassen, mit kaltblütigen
Killern an einem Tisch zu sitzen und zu wissen, daß die Tarnung
jeden Augenblick entdeckt werden konnte. Er wußte von der
Befürchtung, daß Nicky Sepetti einen Tötungsbefehl für Neeve
Kearney ausgegeben hatte, kannte die Erleichterung, als Tony
mit großer Mühe herausgebracht hatte: »Nicky… kein Kontrakt,
Neeve Kearney…«
Jim hatte gerade Dienst, als Commissioner Schwartz zusammen mit Myles Kearney im Krankenhaus erschienen war, und er
hatte Gelegenheit gehabt, diesem die Hand zu schütteln. Der
Legende. Kearney wurde seinem Ruf wirklich gerecht. Nach
dem gewaltsamen Tod seiner Frau mußte er sich vor Sorge zerfleischen, wenn er daran dachte, daß Sepetti es jetzt auf seine
Tochter absehen könnte.
Wie der Polizeichef sagte, glaubte Tonys Mutter, daß ihr Sohn
versuchte, ihnen noch irgend etwas mitzuteilen. Die Krankenschwestern hatten Anweisung, Jim sofort zu holen, wenn Tony
imstande war zu sprechen.
Dies geschah am Montag nachmittag um vier Uhr. Vitales Eltern waren gerade weggegangen, mit einem Funken
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