Clark Mary Higgins
der Tag, an dem wenig
lief, aber wie Neeve Eugenia gegenüber bemerkte:
»Bei uns scheint das nicht zu stimmen.« Vom ersten Augenblick an, als sie um halb zehn die Tür aufgeschlossen hatte, war
Betrieb in der Boutique gewesen. Myles hatte ihr von Sals Befürchtungen erzählt, die vielen Hinweise auf sie im Zusammenhang mit dem Tod von Ethel Lambston könnten dem Geschäft
schaden. Nachdem sie jedoch bis mittags ununterbrochen zu tun
gehabt hatte, bemerkte Neeve trocken zu Eugenia: »Offensichtlich fänden eine Menge Leute es doch nicht so schlimm, in einem Kostüm aus meiner Boutique begraben zu werden.« Dann
fügte sie hinzu: »Bestell mir bitte telefonisch einen Kaffee und
ein Sandwich, ja?«
Als ihr die Bestellung ins Büro gebracht wurde, blickte Neeve
auf und zog die Augenbrauen hoch. »Oh, ich habe erwartet, daß
Denny käme. Er hat doch nicht etwa die Stelle gewechselt?«
Der Austräger, ein schlaksiger neunzehnjähriger Bursche,
setzte die Tüte unsanft auf ihrem Schreibtisch ab. »Montag hat
er frei.«
Als sich die Tür hinter ihm schloß, bemerkte Neeve: »Der
Zimmerservice läßt zu wünschen übrig.« Vorsichtig nahm sie
den Deckel von dem Pappbecher mit heißem Kaffee.
Jack rief wenige Minuten später an. »Geht’s Ihnen gut?«
Neeve lächelte in den Hörer. »Oh, ja. Es geht mir nicht nur
gut, ich bin sogar dabei, reich zu werden. Ich hatte einen großartigen Vormittag.«
»Dann könnten Sie mich vielleicht in Zukunft mit ernähren.
Ich bin auf dem Weg zum Lunch mit einem literarischen Agenten, den mein Angebot wahrscheinlich nicht gerade glücklich
macht.« Jack ließ den scherzhaften Ton fallen. »Neeve, notieren
Sie sich bitte diese Telefonnummer. Es sind die ›Four Seasons‹.
Ich bin die nächsten zwei Stunden dort, für den Fall, daß Sie
mich brauchen.«
»Ich wollte eben mein Thunfischsandwich anbeißen. Bringen
Sie mir die Reste von Ihrer Tafel mit.«
»Neeve, es ist mir ernst.«
Neeves Stimme wurde ruhig. »Jack, mir geht’s gut. Sparen Sie
sich aber etwas von Ihrem Appetit fürs Abendessen. Es kann wahrscheinlich halb sieben oder sieben werden, bis ich Sie anrufe.«
Eugenia warf Neeve einen kritischen Blick zu, als diese den
Hörer auflegte. »Der Verleger, nehme ich an.«
Neeve wickelte ihr Sandwich aus. »Hm, hm.« Sie hatte den
ersten Bissen im Mund, als das Telefon erneut klingelte.
Es war Inspektor Gomez. »Miss Kearney, ich habe die vom
gerichtsmedizinischen Institut gemachten Fotos der verstorbenen Ethel Lambston angesehen. Sie haben den Verdacht geäußert, daß die Kleider ihr erst nach ihrem Tod angezogen wurden.«
»Ja.« Ihre Kehle schnürte sich zusammen, und sie legte das
Sandwich wieder hin. Sie wußte, daß Eugenia sie anstarrte, und
spürte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich.
»Um diese Annahme näher zu untersuchen, habe ich sehr
starke Vergrößerungen der Fotos machen lassen. Die Tests sind
noch nicht abgeschlossen, und wir wissen, daß die Leiche transportiert wurde; darum ist es sehr schwer zu sagen, ob Ihre Vermutung richtig ist oder nicht. Aber sagen Sie mir bitte etwas:
Wäre Ethel Lambston je mit einer breiten Laufmasche im
Strumpf aus dem Haus gegangen?«
Neeve erinnerte sich, die Laufmasche gesehen zu haben, als
sie Ethels Kleider identifiziert hatte. »Niemals«, sagte sie.
»Das hatte ich mir gedacht«, pflichtete Gomez ihr bei. »Der
Autopsiebericht erwähnt Nylonfasern an einem Zehennagel.
Demnach entstand die Laufmasche, als die Strumpfhose angezogen wurde. Das würde bedeuten, daß Ethel Lambston, falls sie
sich selber angekleidet hat, in einem Haute-Couture-Kostüm
und mit einem kaputten Strumpf ausgegangen wäre. Darüber
möchte ich mich in ein, zwei Tagen noch näher mit Ihnen unterhalten. Sind Sie erreichbar?«
Sie hatte eben den Hörer aufgelegt, als es kurz an der Tür
klopfte. Die Empfangsdame trat eilig ein. »Neeve«, flüsterte sie,
»Mrs. Poth ist da. Und haben Sie schon gehört, daß Gordon
Steuber verhaftet worden ist?«
Irgendwie brachte Neeve es fertig, ein ruhiges, aufmerksames
Lächeln zu bewahren, während sie ihrer wohlhabenden Kundin
half, drei Abendkleider von Adolfo und zwei Donna-KaranKostüme sowie Sandaletten, Pumps und Handtaschen dazu auszuwählen. Mrs. Poth, eine auffallend elegante Frau von Mitte
sechzig, erklärte, daß Modeschmuck sie nicht interessiere. »Er
ist hübsch, aber ich ziehe meine echten Schmuckstücke vor.«
Doch am Ende ging sie auf alle Vorschläge von
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