Clark Mary Higgins
sein von dem, was Ethel über den Südsee-Look geschrieben hat«, sagte sie. »Aber ich bin nicht sicher, wie er den
Rest aufnimmt. Er hat so viel gelogen, daß er selber davon überzeugt ist, in Rom geboren zu sein und eine römische Gräfin zur
Mutter gehabt zu haben. Aus seinen Bemerkungen von neulich
abend zu schließen, hat er andererseits wohl schon mit so etwas
gerechnet. Und heutzutage hängt ja jeder an die große Glocke,
wie schwer seine Eltern es gehabt haben. Sal wird also vermutlich ausfindig machen, mit welchem Schiff seine Eltern rübergekommen sind, und sich ein Modell davon nachbauen lassen.«
Nach der Beschreibung der wichtigsten Modeströmungen
ging Ethel in ihrem Artikel auf die mondänen Designer ein, die
selber »einen Knopf kaum von einem Knopfloch unterscheiden
können«, aber talentierte junge Leute engagierten, deren Entwürfe sie dann als eigene Kollektionen ausführten. Sie nahm die
Verschwörung der Modeschöpfer aufs Korn, die es sich allzu
leicht machten, indem sie alle paar Jahre die Mode völlig auf
den Kopf stellten, selbst wenn das bedeutete, daß ältere Witwen
sich wie Revuetänzerinnen anzuziehen hatten. Schließlich machte sie sich über die dummen Kühe lustig, die jedem Diktat brav
folgten und ohne weiteres ein paar tausend Dollar für ein Kostüm verplemperten, das kaum zwei Meter Gabardine aufwies.
Und dann feuerte Ethel aus allen Rohren auf Gordon Steuber:
»1911 machte der große Brand bei der ›Triangle Shirtwaist
Company‹ die Öffentlichkeit zum erstenmal auf die entsetzlichen Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie aufmerksam. Dank der Internationalen Vereinigung der Arbeitnehmer der Damenbekleidungsindustrie hat die Konfektion
sich zu einer Branche entwickelt, in der talentierte Leute auf
anständige Weise gut verdienen können. Einige Konfektionäre haben jedoch Wege gefunden, ihre Gewinne auf Kosten der
Wehrlosen zu erhöhen. Die neuen Ateliers für Schwarzarbeit
befinden sich im südlichen Teil der Bronx und in Long Island
City. Nicht registrierte Einwanderer, viele von ihnen beinahe
noch Kinder, schuften für Hungerlöhne, weil sie keine Arbeitserlaubnis besitzen und Angst haben zu protestieren. Der
König unter diesen betrügerischen Konfektionären ist Gordon
Steuber. Wer immer eines seiner Kleidungsstücke anzieht,
sollte sich in Gedanken das Kind vorstellen, das es genäht hat
und sich wahrscheinlich nicht einmal sattessen kann. Mehr
über Steuber werden die Leser in einem späteren Artikel erfahren.«
Ethel schloß ihren Artikel mit einer Lobeshymne auf Neeve
Kearney, die Besitzerin von »Neeve’s Boutique«, die die Untersuchung gegen Gordon Steuber ausgelöst und seine Modelle aus
ihrem Geschäft verbannt hatte.
Neeve legte die Blätter auf den Tisch. »Sie hat wirklich jeden
wichtigen Designer unter Beschuß genommen! Vielleicht hat sie
selber Angst gekriegt und beschlossen, eine Weile zu verschwinden, bis der Sturm sich gelegt hat.«
»Könnte Steuber sie und die Zeitschrift nicht verklagen?«
fragte Eugenia.
»Die Wahrheit ist die beste Verteidigung. Wahrscheinlich haben sie alle nötigen Beweise. Was mich aber wirklich zur Weißglut bringt, ist, daß Ethel trotz alledem ein Kostüm von Steuber
gekauft hat, als sie das letztemal bei mir war, das Stück, das
versehentlich nicht zurückgeschickt wurde.«
Das Telefon läutete. Einen Moment später meldete die Empfangsdame über die Gegensprechanlage: »Mr. Campbell möchte
Sie sprechen, Neeve.«
Eugenia machte große Augen. »Du müßtest dein Gesicht mal
sehen!« Sie schob die Reste des Lunchs samt den Servietten
und den Pappbechern zusammen und fegte alles in den Papierkorb.
Neeve wartete, bis die Tür wieder geschlossen war, ehe sie
den Hörer aufnahm. Sie versuchte, mit ganz normaler Stimme
»Neeve Kearney« zu sagen, und stellte bestürzt fest, daß es
klang, als sei sie außer Atem.
Jack kam gleich zur Sache. »Neeve, könnten Sie heute mit
mir zu Abend essen?« Er wartete ihre Antwort gar nicht ab. »Ich
hatte vor, Ihnen zu erzählen, daß ich Ethel Lambstons Artikel
habe, und Sie zu fragen, ob wir ihn zusammen ansehen sollten,
aber in Wirklichkeit möchte ich Sie einfach gerne sehen.«
Neeve war verlegen und spürte ihr Herz klopfen. Sie verabredeten sich für sieben Uhr im Carlyle.
Im Laufe des Nachmittags gab es unerwartet viel zu tun. Um
vier Uhr ging Neeve in den Verkaufssalon und nahm sich einiger Kundinnen an. Es waren lauter neue
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