Clark Mary Higgins
was hat das alles zu bedeuten? Jack Campbeils Sekretärin
hat mich schon angerufen und dasselbe von mir erbeten. Ich
sagte ihr, daß ich mir auch Sorgen wegen Ethel mache. Um
ehrlich zu sein, ich habe Jack eine Kopie von Ethels Originalmanuskript gegeben, weil er ihr Verleger ist. Die kann ich Ihnen nicht schicken, aber Sie können den Artikel haben.« Sie
ließ Neeve nicht dazu kommen, ihr zu danken. »Ich bitte nur
inständig darum, daß Sie ihn niemandem zeigen. Es wird etliche Leute im Modezirkus geben, die sich schwarz ärgern, wenn
sie ihn lesen.«
Eine Stunde später waren Neeve und Eugenia bereits ganz in
Ethels Artikel vertieft. Er hatte den Titel »Die Großen und die
Gernegroßen in der Welt der Mode« und war selbst für Ethels
Verhältnisse von beißendem Spott. Sie begann mit der Schilderung der drei wichtigsten Modeströmungen der letzten fünfzig
Jahre: Christian Diors New Look von 1947, Mary Quants Minirock in den frühen sechziger Jahren und dem Südsee-Look von
Anthony della Salva im Jahre 1972.
Über Dior hatte Ethel geschrieben:
»1947 befand sich die Modewelt in einer totalen Flaute, in der
noch der militärische Einfluß der Kriegsjahre zu spüren war:
knapp bemessene Stoffe, eckige Schultern, Messingknöpfe.
Dior, damals ein junger, schüchterner Couturier, beschloß, mit
alledem aufzuräumen. Kurze Röcke waren für ihn Überbleibsel aus einer Zeit der Einschränkungen, die abgeschafft werden mußten. Was für ein Genie er war, zeigte sich darin, daß
er den Mut hatte, einer ungläubig staunenden Welt zu verkünden, daß Kleider in Zukunft eine Länge von zweiunddreißig
Zentimetern über dem Boden hätten. Allen Anfeindungen
zum Trotz blieb Dior unerschütterlich bei seinen Ideen, beziehungsweise bei seiner Schere, und schuf mit jeder neuen Saison immer wieder Kleider voller Schönheit und Eleganz.
In den frühen sechziger Jahren begannen sich die Zeiten zu
ändern, was nicht nur auf den Vietnamkrieg und das Zweite
Vatikanische Konzil zurückzuführen war. Die Welle der Veränderung lag schon in der Luft, und eine junge, unerschrockene englische Modeschöpferin betrat die Szene: Mary Quant,
das kleine Mädchen, das nie erwachsen werden und gar nie
Kleider für Erwachsene tragen wollte. So erschienen der Minirock, das Hängekleid, die farbigen Strümpfe und hohen
Stiefel. Und damit der Grundsatz, daß junge Menschen unter
keinen Umständen jemals älter aussehen dürften. Als man
Mary Quant einmal bat, den Zweck der Mode zu erklären und
wohin sie führe, antwortete sie frischfröhlich: ›Zum Sex.‹
1972 war es aus mit dem Minirock. Die Frauen waren es
leid, das verwirrende Spiel um Saumlängen weiter mitzumachen. Sie gaben den Kampf auf und wandten sich der männlichen Mode zu. Jetzt trat Anthony della Salva mit dem SüdseeLook auf den Plan. Er verbrachte die allerersten Jahre seines
Lebens allerdings nicht als Antonio della Salva in einem Palazzo auf einem der sieben Hügel Roms, wie uns sein Publicity-Manager glauben machen möchte, sondern wuchs als Salvatore Esposito auf einer Farm in der Bronx auf. Seinen Farbensinn dürfte er entwickelt haben, als er seinem Vater half,
Gemüse und Früchte auf dem Lieferwagen zu arrangieren, die
sie in der Umgebung verkauften. Seine Mutter, Angelina nicht contessa Angelina –, war bekannt für ihren Begrüßungsspruch: ›Gott segne Ihre Mama, Gott segne Ihren Papa. Wie
wär’s mit einer schönen Pampelmuse?‹ Sal war ein mäßiger
Schüler und ein mittelmäßig begabter Student auf der Modehochschule. Aber das Schicksal wollte es, daß er zu einem der
wenigen Auserwählten wurde. Er schuf die Kollektion, die
ihn an die Spitze brachte: den Südsee-Look. Mit einem einzigen, großartigen Geniestreich gab er der Mode neuen Auftrieb. Jeder, der 1972 bei jener ersten Modeschau dabei war,
kann sich noch an die Wirkung der zauberhaften Kleider erinnern, die von den Mannequins herabzufließen schienen. Und
erst seine Farben! Er hatte sie der Unterwasserwelt des Südpazifiks entnommen, den Korallen, der Pflanzen- und Tierwelt, und er hatte sich der Muster bedient, die von der Natur
vorgegeben waren, und damit seine eigenen exotischen Dessins geschaffen, einige prachtvoll und gewagt, andere eher
gedämpft wie sein in Silber übergehendes Blau. Der Schöpfer
des Südsee-Looks hat alle Auszeichnungen verdient, die die
Modeindustrie zu vergeben hat.«
An diesem Punkt mußte Neeve schallend lachen. »Sal wird begeistert
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