Clark Mary Higgins
Putzfrau, den ganzen Tag damit beschäftigt, zu waschen, Staub
zu saugen, zu bohnern und zu schrubben.
Als Lupa mit der Morgenpost in der Hand erschien, zog
Myles sich in sein Arbeitszimmer zurück. Es war wieder ein
Brief aus Washington dabei, in dem er dringend gebeten wurde, den Posten als Chef der Drogenfahndungsstelle anzunehmen.
Myles spürte das Adrenalin in seinen Adern, das ihm Auftrieb
gab. Achtundsechzig. Das war noch kein Alter. Eher Aussicht,
sich wieder voll einer notwendigen Aufgabe widmen zu können.
Neeve. Ich habe ihr zuviel von Liebe auf den ersten Blick erzählt. Bei den meisten Menschen spielt es sich ja nicht auf diese
Weise ab. Wenn ich nicht mehr ständig um sie herum bin, wird
sie zu einem normalen Leben finden.
Er lehnte sich in den Schreibtischsessel zurück, seinen alten,
bequemen Ledersessel, der die ganzen sechzehn Jahre, als er
Polizeichef war, in seinem Büro gestanden hatte. Er paßt genau
zu meinem Hinterteil, dachte er. Falls ich nach Washington gehe, lasse ich ihn hinbringen.
Im Korridor summte jetzt der Staubsauger. Ich mag mir den
Radau nicht den ganzen Tag anhören, dachte er. Spontan wählte
er seine alte Telefonnummer im Büro des Polizeichefs, gab Herb
Schwartz’ Sekretärin seinen Namen an und hatte einen Augenblick später Herb am Apparat.
»Myles, wie geht es dir?«
»Zuerst habe ich eine Frage: Wie geht es Tony Vitale?« Er
sah Herb im Geist vor sich, kleingewachsen, zierlich, mit klugen, forschenden Augen, einem hervorragenden Verstand und
einer ungewöhnlichen Begabung, mit einem Blick die ganze
Situation zu erfassen. Vor allem aber ein wirklicher treuer
Freund.
»Wir können es immer noch nicht mit Bestimmtheit sagen.
Sie haben ihn als tot zurückgelassen, und glaube mir, sie wußten
voraussichtlich sehr gut, was sie taten. Aber der Junge ist phänomenal. Die Ärzte nehmen an, daß er entgegen aller Wahrscheinlichkeit durchkommen wird. Ich hatte vor, ihn nachher zu
besuchen. Willst du mitkommen?«
Sie verabredeten sich zum Mittagessen.
Bei einem Truthahnsandwich in einer Snackbar unweit des
Krankenhauses orientierte Herb Myles über das bevorstehende
Begräbnis von Nicky Sepetti.
»Wir werden ein Auge drauf haben. Der FBI wird es beobachten, die Staatsanwaltschaft ebenfalls. Aber ich weiß nicht, Myles, meinem Gefühl nach war Nicky, auch ohne, daß er von Gott
heimgerufen wurde, schon ausgebootet. Siebzehn Jahre sind zu
lange, um aus dem Verkehr gezogen zu sein. Die Welt hat sich
verändert. Früher hätte die Bande doch die Finger von Drogen
gelassen. Jetzt schwimmen sie geradezu darin. Nickys Welt existiert nicht mehr. Wenn er nicht von selber gestorben wäre, hätte
man seinem Ende nachgeholfen.«
Nach dem Lunch gingen sie auf die Intensivstation des Krankenhauses. Anthony Vitale lag eingehüllt in Bandagen, hing am Tropf
und war an Apparate angeschlossen, die seinen Blutdruck und seinen Puls kontrollierten. Seine Eltern saßen im Wartezimmer.
»Wir dürfen ihn jede Stunde ein paar Minuten sehen«, sagte
sein Vater. »Er wird durchkommen.« In seiner Stimme lag ruhige Zuversicht.
»Ein zäher Polizist ist nicht so schnell umzubringen«, sagte
Myles zu ihm und drückte ihm die Hand.
Jetzt wandte Tonys Mutter sich an Myles. »Ich glaube, daß
Tony versucht, uns etwas mitzuteilen«, sagte sie.
»Er hat uns gesagt, was wir hören mußten. Daß Nicky Sepetti
keinen Mordkontrakt auf meine Tochter ausgeschrieben hat.«
Rosa Vitale schüttelte den Kopf. »Ich war in den letzten zwei
Tagen jede Stunde bei Tony. Das ist nicht alles. Er möchte uns
noch etwas anderes wissen lassen.«
Tony wurde rund um die Uhr bewacht. Herb Schwartz gab
dem jungen Polizisten, der im Schwesternzimmer der Intensivstation saß, ein Zeichen, zu ihm zu kommen. »Hören Sie genau
hin«, wies er ihn an.
Myles und Herb fuhren zusammen im Lift hinunter. »Was
hältst du von der Sache?« fragte Herb.
Myles zuckte die Achseln. »Wenn es etwas gibt, dem ich zu
vertrauen gelernt habe, dann ist es der Instinkt einer Mutter.« Er
dachte an den weit zurückliegenden Tag, als seine Mutter ihm
gesagt hatte, er solle die nette Familie aufsuchen, die ihm im
Krieg Obdach gewährt hatte. »Tony könnte an jenem Abend
eine ganze Menge gehört haben. Sie müssen alles durchgesprochen haben, um Nicky das Gefühl zu geben, daß er wieder Bescheid wisse.« Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. »Übrigens, Herb, Neeve setzt mir zu, weil irgendeine Schriftstellerin,
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