Clementine schreibt einen Brief
Vorschulkinder sprangen auf und klatschten wie besessen. Das war keine besonders gute Idee, denn dadurch fielen die Gesetzbücher auf den Boden und die Sitze schnappten wieder nach den Kindern.
»Vielen-Dank-ich-hätte-das-ohne-meine-wunderbaren-Kinder-niemals-schaffen-können«, sagte Gladys Huffman in wildem Tempo ins Mikrofon. »Und jetzt sollte ich sie wohl besser retten.«
Und damit war die Feier beendet.
Mein Lehrer kam zu unserer Klasse herüber und kniete sich vor mich. »Vielen Dank für den hervorragenden Empfehlungsbrief, Clementine«, sagte er.
»Aber Sie haben doch gar nicht gewonnen«, sagte ich. »Das tut mir leid.« Was plötzlich wirklich der Fall war. Na ja, meinetwegen – jedenfalls ein bisschen.
»Das braucht dir nicht leidzutun«, sagte er. »Mir tut es ja auch nicht leid.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht«, sagte er noch einmal. »Ich wollte zuerst wirklich sehr gern gewinnen, aber als ich dann deinen Brief gelesen habe, dachte ich … Ich habe euch diese Woche wirklich vermisst. Alles, was du in deinem Brief geschrieben hast, hat mich daran erinnert, wie gern ich euch unterrichte. Wir haben eine Menge Projekte angefangen und ich möchte nicht mittendrin weggehen. Ich hatte vor, für dieses Jahr euer Lehrer zu sein, und ich will das nicht verpassen. Du hattest da absolut Recht. Wenn ich also gewonnen hätte, hätte ich gesagt, dass ich den Preis nicht annehmen kann.«
Er nickte zu der Vorschullehrerin hinüber. »Ich bin froh, dass sie ausgesucht worden ist. Eine archäologische Ausgrabung wird ihr sicher vorkommen wie eine Erholung.«
Ich tippte meine Nase an und zeigte dann auf ihn. »Da haben Sie den Nagel voll auf die Nase getroffen. Gut gedacht!«
Plötzlich wollte ich, dass er die Wahrheit wusste. »Sie sollten besser nicht stolz auf mich sein«, sagte ich. »Sie wissen ja nicht, was wirklich in meinem Brief gestanden hat.«
»Doch, das weiß ich«, sagte er. »Ich habe heute Morgen alle Briefe gelesen.«
»O nein. Sie können meinen Brief nicht gelesen haben«, sagte ich.
Herr D’Matz hob die Augenbrauen. »Der Gestank seiner Socken würde einer Mumie die Windeln abwickeln. Wenn er vorüberginge, würde die große Sphinx vom Sockel fallen.«
»Aber dann … wie konnten Sie wissen … dass ich …«
»Erinnerst du dich an die Geschichte von der Vogelmutter?«
Ich machte nicht das Jetzt-geht-das-wieder-los-Gesicht, denn in diesem Moment wollte ich die Geschichte hören. Aber Herr D’Matz erzählte sie nicht. Stattdessen schüttelte er mir die Hand und sagte: »Ich wusste, dass du fliegen kannst, Clementine. Und ich wusste, dass du es tun würdest.«
Und wie ich dort saß und mein Lehrer mir die Hand schüttelte, war mein Herzanfall verschwunden. Und ihr werdet nicht glauben, was dann passierte! Meine Haut fing überall zu prickeln an.
Und wisst ihr, was das war?
Federn!!
Na gut, meinetwegen. Es war eine Gänsehaut.
Sara Pennypacker
© Jeffrey Kassebaum
Sara Pennypacker war Malerin, bevor sie mit dem Schreiben anfing. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher, hat zwei Kinder und lebt auf Cape Cod, Massachusetts. Wenn es warm ist, schwimmt sie im Meer; wenn nicht, sucht sie am Strand interessante Dinge.
Weitere Kostenlose Bücher