Cleo
wiederaufzunehmen und seinen Abschluss zu machen.
Aber gesundheitlich war er noch lange nicht wiederhergestellt. Die Entzündung flammte immer wieder auf, auch wenn die Steroide dafür sorgten, dass die Ausbrüche nicht mehr ganz so schlimm wie der erste ausfielen. Mit tiefer Sorge beobachtete ich, dass die Steroiddosis alle paar Monateerhöht werden musste, um die Krankheit in Schach zu halten.
Damit wir auch sonst bloß nicht dem Glauben verfielen, das Leben sei langweilig, kam Philip eines Abends von der Arbeit nach Hause und gab bekannt, dass er befördert worden war. Da war nur ein winziges Problem: Sein neues Büro befand sich in gut 1500 Kilometer Entfernung, in Australien.
29
V ermisst
Eine Katze nimmt sich das Recht heraus,
ohne jede Erklärung zu verschwinden.
Meine Flugangst wurde durch eine neue Neurose abgelöst – Katze-im-Frachtraum-Angst. Was, wenn Cleo dort hinten erfror? Oder wenn ihre Transportkiste neben der eines Bullterriers stand, der seine Aggressionen nicht kontrollieren konnte? Ich lauschte angestrengt, ob aus dem hinteren Teil des Flugzeugs gedämpftes Miauen zu hören war. Zwei Stewards führten die Sicherheitsanweisungen mit dem Schwung von Chorsängern aus der Rocky Horror Picture Show vor: »Sollte eine Sauerstoffmaske herunterfallen, klimpern Sie mit den Wimpern, lassen Sie den Plastikschlauch tanzen und kreisen Sie mit den Hüften!« Meine Hoffnung, die Hilferufe von Cleo zu hören, ging im Geklapper der Servierwagen, dem Schreien der Babys und den Ansagen des Piloten unter.
Ich redete mir gut zu. Vielleicht war sie ja nicht einmal im selben Flugzeug wie wir. Man hatte uns gesagt, dass sie womöglich erst vierundzwanzig Stunden nach uns ankäme.
Der Wüstenkontinent breitete sich wie ein gigantisches Fladenbrot unter uns aus. Mit jaulenden Motoren setzten wir in Melbourne zur Landung an. Ängstliche Befürchtungen verwandelten sich in freudige Erwartung und wieder zurück. Als wir unter einem riesigen blauen Himmel ins Taxi stiegen, atmete ich erst einmal tief die trockene Luftein. Alles an Australien war größer, zuversichtlicher, extrovertierter. Ich hoffte, wir würden uns unter der gleißenden Sonne Melbournes ein neues Leben aufbauen können.
Die Mädchen standen dem Umzug mit etwa genauso viel Begeisterung gegenüber wie die Sträflinge, die vor hundertfünfzig Jahren in dieses Land verfrachtet worden waren. Im Unterschied zur britischen Justiz waren wir allerdings bereit, gewisse Kompromisse einzugehen, um ihnen die Sache schmackhafter zu machen. Kurz gesagt, wir hatten sie bestochen. Ohne die Spur eines schlechten Gewissens. Katharine hatte zunächst auf einer Känguru-Farm bestanden, sich dann aber auf ein Barbie-Haus mit Lift herunterhandeln lassen. Lydia arbeitete noch an einem Deal, weil sie in einer dieser Pferdekutschen in die Schule gebracht werden wollte, die sie im Stadtzentrum hatte herumkurven sehen (»die mit den Pferden mit den roten Federn auf dem Kopf«).
Als das Taxi vor der von uns gemieteten Villa in Malvern, einem grünen Vorort von Melbourne, hielt, machte ich mir nach wie vor Sorgen um unsere Katze. Die arme alte Cleo. Womöglich schmachtete sie inzwischen in einem Transitgefängnis für Tiere. Vielleicht hätte ich Rosies Angebot, sie zu adoptieren, doch annehmen sollen. Rosie hatte mich darauf hingewiesen, dass Cleos fünfzehn Jahre einem Menschenalter von fünfundsiebzig entsprächen. Es sei das reinste Wunder, dass Cleo in einem derart chaotischen Haushalt wie unserem überhaupt so alt geworden sei. Dann hatte sie noch angedeutet, dass Cleos Herz auf der anstrengenden Flugreise durchaus versagen könnte. Da wäre es vielleicht menschlicher, ihr einen ruhigen Lebensabend in Rosies Katzenmenagerie zu gönnen. Aber Cleo war mit uns verwoben wie ihre Katzenhaare mit ihrer Lieblingsdecke. Wir warennicht die perfekten Katzeneltern. Aber sie zurückzulassen wäre undenkbar gewesen.
Seit wir vor fünf Jahren aus der Schweiz zurückgekommen waren, hatte sich vieles verändert. Rob hatte die Schule mit einem Stipendium in der Tasche verlassen und nach Beendigung seines Studiums beschlossen, in Melbourne als Ingenieur zu arbeiten. Lydia war bald ein Teenager, und Katharine kam demnächst in die Schule. Steve hatte Amanda geheiratet und die beiden hatten eine Tochter bekommen. Meine Mutter hatte ihren Kampf gegen den Darmkrebs bald aufgegeben und war nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Ihre letzten Tage waren furchtbar gewesen, aber sie
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