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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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glücklich und freute mich über die Stabilität, die Philip uns allen mit seiner Liebe schenkte. Nichtsdestoweniger gab es einen Teil in unserem Leben, den Rob und ich verbargen und über den wir nur selten redeten, jedenfalls nicht im Beisein anderer.
    »Manchmal habe ich das Gefühl, unser Leben zerfällt in zwei Hälften«, sagte er eines Tages, als es im Haus still war bis auf das Miauen von Cleo, die um den Kühlschrank schlich. »Da ist das Leben mit Sam und dann das ohne ihn nach seinem Tod. Es kommt mir fast so vor, als hätten beide überhaupt nichts miteinander zu tun.«
    Ich musste ihm Recht geben. Abgesehen von einer Hand voll Freunden und Verwandten und der kleinen schwarzen Katze, die Sam vor all den Jahren für uns ausgesucht hatte, gab es nur wenig, was diese beiden Lebensabschnitte miteinander verband. Wir mochten zwar lachen, arbeiten und spielen, aber unsere Trauer war nach wie vor da, tief in uns vergraben, zum Teil frisch wie am ersten Tag. Ich machte mir Gedanken, weil sich keiner von uns irgendeiner Form der Trauertherapie unterzogen hatte, und fing deshalb gelegentlich an, von Sam zu erzählen, um Rob dazu zu bewegen, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen. Wir blätterten durch Fotoalben, redeten und lächelten. Aber es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass die Zeit diese Wunde geheilt hatte. Auch wenn wir Sams Tod inzwischen als Teil unseres Lebens akzeptiert hatten, fühlten wir uns dennoch so, als fehlte uns ein Teil von uns selbst. Sein Tod war wie eine Amputation gewesen. Nur war nach so vielen Jahren der Stumpf im Grunde für niemanden mehr sichtbar außer für Rob und mich.
    Rob wuchs zu einem großen, hübschen Kerl heran. Er war ein guter Schwimmer, und ermutigt von Philip nahm er an Triathlon-Wettkämpfen teil und segelte. Ich war zwar gelegentlich in Sorge wegen seines seelischen Befindens, aber körperlich strotzte er geradezu vor Gesundheit. Er hatte die beneidenswerte Fähigkeit, jeden Virus nach einem Tag abzuschütteln.
    Wenn ich ihm zusah, wie er sich in die Brandung stürzte, stellte ich mir manchmal seinen älteren Bruder neben ihm vor. Wie würde Sam heute aussehen? Wahrscheinlich ein bisschen kleiner als Rob, aber mit gleichmäßigen Gesichtszügen und auf seine Art sicher auch gut aussehend. Ich fragte mich, wohin ihn seine Lust, aus der Reihe zu tanzen, geführt hätte. Vielleicht hätte ich seinetwegen graue Haarebekommen, weil er mit Drogen herumexperimentiert und sich der brotlosen Kunst des Filmemachens zugewandt hätte. Vielleicht hätte er sich aber auch zu einem wahren Schwiegermuttertraum entwickelt, in Windeseile ein Jurastudium absolviert und mittlerweile ein Vororthäuschen zur Hälfte abbezahlt. Wie dem auch sei, es hatte keinen Sinn, meine Zeit mit Träumereien zu verschwenden.
    Nach seinem ersten Jahr an der Uni gingen Rob, Philip und ich in den Ferien einmal in das Einkaufszentrum bei uns um die Ecke. Rob wurde plötzlich blass und sagte, ihm sei nicht gut. »Bist du etwa krank?«, fragte ich. »Du bist doch nie krank.« Auch Rob wunderte sich. Der Arme hatte so wenig Ahnung vom Kranksein, dass er nicht einmal wusste, wie man sich manierlich übergab. Statt sich diskret über den Rinnstein zu beugen, wandte er sich zu uns und ließ sein Frühstück auf uns niedergehen. Ich nahm an, dass er einen Hamburger gegessen hatte, der nicht mehr gut war, und bald wiederhergestellt sein würde. Was für ein Irrtum.
    Er legte sich ins Bett und konnte mehrere Tage lang weder essen noch trinken. Sein Arzt versicherte uns, dass es nichts Ernstes sei und nicht lange anhalten würde. Aber gegen Ende der Woche war Rob völlig dehydriert und wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo man eine Colitis ulcerosa diagnostizierte, eine entzündliche Darmkrankheit, Ursache unbekannt. Es stellte sich heraus, dass Rob einen sehr schweren Anfall hatte.
    Hilflos musste ich mit ansehen, wie er von Tag zu Tag schwächer wurde. Noch einmal sammelte ich alle meine lebensspendenden Kräfte als Mutter, damit er wieder gesund wurde. Aber erneut schien ich zu versagen. Immer wieder musste ich sein Zimmer verlassen, um zu weinen. Die Aussicht, noch ein Kind zu verlieren, war unerträglich.
    Ein junger Chirurg in einemgrünen OP-Kittel, der gerade aus dem Hörsaal gekommen zu sein schien, stand an seinem Bett. Wenn Rob nicht auf die Medikamente reagierte und sein jetzt schon angeschwollener Dickdarm einen weiteren Zentimeter zunahm, sagte er, würde der gesamte untere Abschnitt (mehr als zwei

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