Cleo
hatte dem Tod tapfer ins Auge geblickt. In dieser Zeit, als sie nur noch ein Schatten ihrer selbst war, trat ihre innere Stärke in den Vordergrund und wurde in jeder ihrer Äußerungen sichtbar. Bei ihr zu sein, als sie ihren letzten, qualvollen Atemzug tat, war zwar äußerst schmerzhaft, aber ich empfand es auch als ein Geschenk. Ich vermisste unsere Telefonate, ihre stete Ermutigung, ihren Willen, allem im Leben seine guten Seiten abzugewinnen.
Aber einige Dinge hatten sich nicht geändert. So war Cleo nach wie vor unbestritten die Königin in unserer Familie.
»Da ist was vor der Tür«, sagte Rob.
Im Schatten der Veranda stand eine große Kiste. Ich nahm an, dass es irgendetwas war, das die Vormieter vergessen hatten wegzuschmeißen. Eine Seite war vergittert. Wir traten vorsichtig näher. Hinter dem Drahtgitter schauten uns finster zwei vertraute grüne Augen an.
»Na, sieh mal einer an, wer da ist!«, rief Philip.
Die Augen blitzten ihn an, als wollten sie sagen: Also ihr habt euch ja wirklich Zeit gelassen!
»Cleo! Du bist schon da!«, riefen die Mädchen im Chor.
Es war typisch für Cleo, dass sie Stunden vor uns in unserer neuen Heimat eingetroffen war. Irgendwann musste sie einen der Beamten in der Quarantäneabteilung angefunkelt haben, und er hatte sie als das erkannt, was sie war, nämlich eine ägyptische Gottheit, und ihr die entsprechende VIP-Behandlung angedeihen lassen.
Cleo verschlang ihre erste australische Mahlzeit innerhalb von Minuten. Sie gewöhnte sich schneller ein als der Rest der Familie. Ich dagegen rief als Erstes massenhaft Leute in Neuseeland an, um ihnen zu berichten, dass wir gut angekommen waren. Sie klangen erfreut, von mir zu hören, aber ich hatte den Eindruck, dass wir schon bald Teil ihrer Vergangenheit sein würden.
Die Anrufe zu Hause waren der leichte Teil. Schwerer war es, unser Leben hier neu zu einzurichten – angefangen von Ärzten und Friseuren über Einkaufszentren bis hin zu Spielplätzen mussten wir uns alles neu suchen. Neue Freundschaften zu schließen schien das Allerschwerste zu sein. Als ich die Schulformulare ausfüllte, wurde mir die Bedeutung eines Kreises von netten Leuten besonders klar. Das Kästchen »Im Notfall zu benachrichtigen, z. B. Freunde, Nachbarn o. Ä.« musste ich frei lassen. Wir waren auf einer Insel der Anonymität gestrandet. Wenn wir nicht bald neue Freunde fanden, mussten wir welche erfinden. Ich hatte beschlossen, von zu Hause aus zu arbeiten und verschiedene neuseeländische Zeitungen und die Zeitschrift Next mit Kolumnen zu versorgen. Dadurch konnte ich zwar mit meiner treuen Leserschaft in Kontakt bleiben, aber eine einsame Angelegenheit war es doch. Vor einem Bildschirm in einem Vorort zu brüten erhöhte nicht gerade die Wahrscheinlichkeit, Gleichgesinnte kennenzulernen.
Nachdem Cleo ihre zweitägige Gefangenschaft im Haus hinter sich gebracht hatte, öffnete ich die Hintertür für sie. Sie streckte vorsichtig die Nase hinaus. Ihre Schnurrhaare zuckten. Dann hob sie zögernd eine Pfote. Australien roch anders, ein Konglomerat aus Gartendüften, vermischt mit dem Geruch von Beutelrattenfell, Eukalyptus und Papageienfedern. Bevor ich es verhindern konnte, schlüpfte sie wie eine Forelle zwischen meinen Beinen hindurch und verschwand zwischen den Strelitzien.
»Keine Angst«, sagte ich zu Katharine. »Sie macht nur einen Erkundungsgang. Zum Abendessen ist sie wieder zurück.«
Die Abendessenszeit kam und ging. Kein Schnurrhärchen von Cleo. In den ganzen fünfzehn Jahren war sie nicht ein einziges Mal abgehauen. Die Dämmerung senkte sich über uns. Der Himmel nahm die Farbe eines Blutergusses an und es begann zu nieseln. Cleo hasste Regen. Wir riefen nach ihr. Nichts.
»Sie hat vielleicht unter dem Haus Schutz gesucht«, sagte ich in der Hoffnung, dass es so war. »Morgen Früh taucht sie bestimmt wieder auf.«
Der Regen hämmerte die ganze Nacht auf das Dach. Da stimmte doch was nicht. Australien war für seine Dürre und seine Wüsten berühmt, nicht für seine Regengüsse. Kaum dämmerte der Morgen, stand ich auf, um an den Türen und Fenstern nach einer Katze zu sehen, die hereingelassen werden wollte. Nichts. Der ganze Umzug nach Australien würde unter einem schlechten Stern stehen, wenn wir unsere geliebte Cleo verloren. Philip machte sich mit sorgenumwölkter Stirn auf den Weg, es war sein erster Arbeitstag. Nach dem Frühstück schlüpften die Mädchen und ich in Regenmäntel und suchten laut nach Cleo
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