Cleo
rufend die Nachbarschaftab. Eine mürrische weiße Katze starrte uns von einem Fenster aus an. Auf der anderen Straßenseite hörte ich einen Hund bellen. Cleo war zwar nicht mehr ganz so ausdauernd wie früher, aber sie war nach wie vor zäh. Aber was, wenn australische Tiere noch zäher waren? Vielleicht lief sie ja einem Rottweiler über den Weg, den sie nicht mit ihrem strengen Blick in die Flucht schlagen konnte. Und auch wenn sie noch ziemlich gut zu Fuß war, eine Eliteathletin war sie schon längst nicht mehr.
Als ich die Mädchen an diesem Abend ins Bett brachte, versuchte ich sie auf einen schlechten Ausgang der Geschichte vorzubereiten. »Cleo hatte ein langes, aufregendes Leben«, sagte ich.
»Glaubst du, dass sie tot ist?«, fragte Lydia.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich habe das ganz starke Gefühl, dass sie lebt. Ich glaube, sie weiß, dass wir sie noch brauchen.«
Aber die Wahrscheinlichkeit stand gegen uns, wie mir insgeheim klar war. Eine alte Katze, die in einem neuen Land von zu Hause weglief, hatte eine Überlebenschance von tausend zu eins, und mit jeder Stunde, die verging, wurde diese Chance noch kleiner.
Am nächsten Tag ließ der Regen nach. Wir suchten erneut die Nachbarschaft ab. Vom vielen Rufen war ich schon ganz heiser. Kreuz und quer liefen wir durch Gässchen und über einen großen Bauhof. Wir durchkämmten den Spielplatz am anderen Ende der Straße. Die viel befahrene Hauptstraße ein paar Häuser weiter abzusuchen, war sinnlos. Wenn Cleo diese Richtung eingeschlagen hatte, würden wir sie nie wiedersehen.
Mit schwerem Herzen kehrten wir nach Hause zurück. Jetzt wünschte ich, ich wäre klug genug gewesen, RosiesAngebot anzunehmen, dann hätte Cleo ihren Lebensabend bei einer ausgewiesenen Katzenfreundin verbringen können. Was für eine blödsinnige Idee, in ein neues Land zu ziehen! Wir mussten verrückt sein, uns einzubilden, dass wir über genügend Charme und Energie verfügten, um neue Freunde zu finden. Ich schluckte die Tränen hinunter, legte meine Arme um die Schultern der Mädchen und krächzte ein letztes, hoffnungsloses »Cleeeeo!«. Die Häuser und Bäume in unserer neuen Nachbarschaft antworteten mit einem tiefen Schweigen.
Dann huschte an dem Haus auf der anderen Straßenseite, wo der Hund gebellt hatte, ein Schatten entlang. Die Gestalt kam näher und zwängte sich durch zwei Gardenienbüsche. Zuerst hielt ich es für eines dieser merkwürdigen australischen Tiere, einen Stadt-Wombat vielleicht. Aber es hatte Ohren und Schnurrhaare … und … Cleo trottete über die Straße direkt in unsere Arme! Wir haben nie herausbekommen, wo sie gewesen war und ob eine andere Familie versucht hatte, sie mit dem Inhalt ihres Kühlschranks zu verführen. Was auch immer sie vorgehabt hatte, zu guter Letzt hatte sie sich jedenfalls für uns entschieden.
Alles in Australien war aufregender und bunter – auch die Vogelwelt. Ich ging davon aus, dass Cleo ihre Schreckensherrschaft über die gefiederten Freunde wieder aufnehmen würde, sobald sie sich hier ein wenig besser auskannte. Aber mit den australischen Vögeln sollte man sich besser nicht anlegen. Sie sind mindestens so energisch wie Dame Edna unter Hormonersatz und es steht ihnen ganz und gar nicht der Sinn danach, Katzenfrühstück zu werden.
Cleo war wie geblendet von der Farbenpracht der Allfarbloris, die es sich in unserem Hinterhof auf dem Birnbaumgemütlich machten. Sie leckte sich die Lippen, während sie vermutlich überlegte, was für hübsche Zahnstocher ihre grünen und roten Federn abgeben würden. Währenddessen keckerten die Vögel höhnisch über die alte schwarze Katze. Sie wussten genau, wenn sie in ihre Nähe kam, würden sie sie in Stücke reißen und die Einzelteile mit ihren Schnäbeln filetieren.
Zwei Elstern beschlossen, sich stellvertretend für die gesamte Vogelfamilie zu rächen. Als ich eines Nachmittags aus dem Fenster blickte, sah ich Cleo mit gesenktem Kopf und eingeklemmtem Schwanz auf das Haus zurennen. Die beiden Elstern jagten wie zwei Spitfires hinter ihr her und schlugen übermütig Kapriolen. Ich lief zur Tür und riss sie gerade noch rechtzeitig auf, damit Cleo sich in Sicherheit bringen konnte.
Allerdings konnten uns unsere vier Wände nicht vor allem Unheil schützen. Gerade als wir dachten, wir hätten uns an das neue Leben gewöhnt, ereilte uns unser erster Vierzig-Grad-Tag. Ich hatte stets laut getönt, dass ich ein Mensch sei, der Wärme bräuchte. Ein paar zusätzliche
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