Cleo
Während ich Gräber neben den Vergissmeinnicht schaufelte, erinnerte ich mich daran, dass das Leben schon immer ein Kampf war. Dann hatte der Mensch irgendwann im Laufe der Geschichte angefangen, den Tod auszuschalten. Wir erfanden Begriffe wie »entschlafen« und unternahmen größte Anstrengungen, um den Prozess zu verschleiern, wie man aus der Kuh von der Weide einen Hamburger machte. Wir versteckten die Kranken, Alten, Behinderten, so dass das Leiden zum Mysterium geriet und der Tod zur schlimmsten Anomalie.
Wir reden uns ein, dass wir ein leichtes Leben verdienen, dass wir von Schmerz befreit sein sollen, nur weil wir Menschen sind. Das funktioniert ganz gut, bis uns irgendwann ein Unglück ereilt. Wir haben uns so sehr aufs Leugnen verlegt, dass wir völlig hilflos sind, wenn wir plötzlich mit Schicksalsschlägen fertigwerden müssen, die vermutlich jeden von uns irgendwann einmal treffen.
Cleo schien dagegen folgendes Motto zu haben: Das Leben ist hart, aber das macht nichts, weil es auch toll ist. Man muss es nehmen, wie es ist, man darf bloß nicht glauben, dass es ein Zuckerschlecken wird. Diejenigen, die schlimme Zeiten durchgemacht haben, können oft die guten mehr genießen und sind weise genug, zu erkennen, dass die guten Zeiten nicht nur gut, sondern großartig sind.
Ich fragte mich, ob ich jemals stark genug sein würde, um ihrem Beispiel zu folgen.
13
L oslassen
Die Berührung einer Pfote
kann besser sein als ein Aspirin.
Der Herbst hatte Einzug gehalten und der Stechginster färbte die Hügel rund um den Hafen golden. Die Jahreszeiten hatten einander so unmerklich abgewechselt, dass es fast an mir vorbeigegangen war. Hatte sich Cleo nicht vor Kurzem noch in den Schatten des Hauses zurückgezogen, nachdem sie sich beim Sonnenbaden auf dem Gartenweg einen leichten Sonnenstich geholt hatte? Jetzt kämpfte sie plötzlich mit uns um den besten Platz vor dem künstlichen Kaminfeuer, den sie natürlich immer bekam. Auf einmal hatte der Wind an Schärfe zugenommen und die Pappeln schimmerten bräunlich. Aber auch Cleo gegenüber hatte meine Aufmerksamkeit zu wünschen übrig gelassen. Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, unseren Besuchern zu erklären, wir besäßen eine Katze, die wie ein Außerirdischer aussah, dass ich mir gar nicht mehr die Mühe machte, sie mir genauer anzusehen. Für mich war es selbstverständlich, dass wir mit einer hässlichen Katze zusammenlebten.
Eines Morgens rechte ich Blätter in unserem Garten zusammen, als ich plötzlich eine Katze auf Mrs. Sommervilles Dach entdeckte. Einen Moment lang verschlug es mir den Atem, so anmutig und schön war sie. Es war ein majestätischer Anblick. Dank meiner ländlichen Herkunft erlag ich nicht so schnell irgendeinem dahergelaufenen Tier. MeineMutter hatte mir die Überzeugung eingeimpft, dass alles, was vier Beine hatte und kein Tisch war, im besten Fall ein Wirtschaftsgut, im schlimmsten Fall ein Ärgernis darstellt. Aber dieses Wesen bewegte sich in anderen Sphären. Es hatte das erhabene Profil eines Löwen. Mit dem zur Seite geneigten Kopf und dem mit mathematischer Akkuratesse um den Rumpf gelegten Schwanz sah es aus wie die Katzenversion eines Topmodels, das für ein Vanity-Fair -Cover posierte. Nur machte die Katze einen völlig selbstvergessenen Eindruck. Sie schien auch mich nicht bemerkt zu haben. Mit angelegten Ohren und leicht in die Höhe gereckter Nase starrte sie auf den nächsten Baum, in dem sich wohl ein potenzielles Mittagessen verbarg.
Mich überkam Neid auf den Menschen, der ein solches Tier sein Eigen nannte. Ich sah ihn vor mir, wie er selbstgefällig vor seinem Kaminfeuer saß, ein Glas guten Rotwein in der einen Hand, mit der anderen das Fell der schönen Katze streichelnd. Sie war zwar genauso schwarz wie Cleo, aber anders als diese musste sie einen ellenlangen Stammbaum vorweisen können. Wahrscheinlich hätte man mit ihrer Abstammungsurkunde ein ganzes Haus in Brand setzen können. Nach dem Glanz des Fells zu urteilen, bekam sie jeden Abend einen Teller frische Sardinen vorgesetzt. Neben einer solchen Katze sah Cleo aus, als wäre sie gerade aus der Kanalisation von Kalkutta gekrochen. Zum Glück war Cleo verschwunden. Wahrscheinlich erforschte sie gerade die Obstschale, die sich seit Kurzem als Quelle interessanten Insektenlebens erwies. Ich senkte den Kopf und rechte weiter. Noch hatte ich die meditativen Qualitäten des Laubrechens nicht für mich entdeckt. Wenn man Glück hatte, war
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