Cleo
Tür wieder aufriss, sprang sie aus ihrem Karottennest und schüttelte sich auf dem Küchenboden, so als wollte sie sagen: »Ich habe das nur gemacht, um das Gemüse bei Laune zu halten.«
Cleo gab zwar die Idee der Kühlschrankwohnung auf, dachte sich dafür aber neue Möglichkeiten aus, wie sie ein wenig mehr Vielfalt in ihre Ernährung bringen könnte. Als ich eines Tages das Katzenklo saubermachte, stellte ich fest, dass sich zwei Gummibänder und ein Stück Baumwollfaden durch ihren Verdauungstrakt gearbeitet hatten.
Nun, da sie entdeckt hatte, wozu ihre Hinterpfoten imstande waren, sprang sie regelmäßig auf die Arbeitsplatte in der Küche, um sich eine gastronomische Vorschau auf unser Abendessen zu verschaffen. Hühnerbrust und Fisch mochte sie am liebsten, aber mit der Zeit entwickelte sie auch eine gewisse Vorliebe für Hackfleisch, Kuchen, rohe Eier und merkwürdigerweise Butter.
Wenn ich die Butter nicht im Kühlschrank in Sicherheit brachte, zeichneten sich garantiert recht schnell Spuren von ihr darauf ab. Es ließ sich nicht sagen, ob Cleo Butter wirklich mochte oder ob sie nur so tat, um die an den Boden gefesselte Rata zu quälen. Unsere allesfressende Hündin war regelrecht besessen von weiterverarbeitetem tierischen Fett. An Sams fünftem Geburtstag hatte sie sich auf einen Sitz ein ganzes Stück Butter, das versehentlich auf dem Couchtisch stehengeblieben war, einverleibt. Wir hatten damals darauf gewartet, dass sie grün um die Schnauze wurde, und bereiteten uns schon auf eine Eilfahrt zum Tierarzt vor, aber Ratas Laune blieb ungetrübt. Ihr mit Teflon ausgekleideter Magen konnte alles vertragen, von Schnürsenkeln bis zu den Resten eines Picknicks, inklusive der Papierservietten (so sie zu haben waren).
Als die Tage kürzer wurden, entdeckte Cleo die Sorte Fressen, die sie fortan am liebsten mochte. Dank Jason hatte sie ihre wilde Seite kennengelernt und stellte jetzt fest, wie aufregend Selbstbedienung sein konnte. Sie sah aus wie ein schwarzer Panther, wenn sie die Blumenbeete durchstreifte und die Beuteeigenschaften von allem, was sich bewegte, erkundete, inklusive der Grashalme. Selbst Gänseblümchen waren ihres Lebens nicht mehr sicher. In einem Riss in dem Weg beim Gartentor fand sich dann endlich ein viel versprechendes Opfer: Ameisen. Ihr Kopf schoss hierin und dorthin, als ihr Blick den emsig herumwuselnden Arbeitstieren folgte. Probeweise stocherte Cleo mit ihrer Pfote nach ihnen, aber sie ließen sich nicht ärgern. Blind gegenüber Gefahr und Vergnügen, marschierten die Ameisen einfach weiter, statt Cleos Spielchen mitzuspielen.
Ihrem ersten erfolgreichen Feldzug fiel daher eine Gottesanbeterin zum Opfer, die sie auf dem Fensterbrett in RobsZimmer entdeckte. Ich hatte schon immer etwas für Gottesanbeterinnen übrig. Mit ihren rollenden Augen und den überaus gelenkigen Beinen sehen sie wie Besucherinnen aus dem All aus. Sie sind die Außenseiter der Insektenwelt und leben ein ruhiges, liebenswert harmloses Leben (wenn man von einer gelegentlich verspeisten Fliege oder Heuschrecke absieht). Im Gegensatz zu anderen Insekten finden sie keinen Gefallen daran, Blut zu saugen, zu stechen oder tödliche Krankheiten zu verbreiten.
Deshalb war ich auch ziemlich sauer, als ich eines sonnigen Nachmittags eine von ihnen zwischen Cleos Pfoten entdeckte. Die Katze trieb ihr Spielchen mit dem armen Ding, ließ es in dem Glauben, es könnte entkommen, um erneut darüber herzufallen. Mein erster Impuls war, das Insekt zu retten. Aber es hatte schon ein Bein verloren. Es gab keine Hoffnung mehr.
Zum ersten Mal empfand ich einen leichten Widerwillen gegenüber Cleo. Wenn ich allerdings versuchte, sie am Jagen zu hindern, würde ich ihre Katzennatur leugnen. Ich hörte die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf, die sagte: Handle nie wider die Natur. Wobei sie aus einer Siedlerfamilie stammte, in der nicht unbedingt nach diesem Grundsatz gehandelt wurde und die keinerlei Skrupel hatte, riesige Landflächen abzufackeln.
Voller Schuldgefühl gegenüber der Gottesanbeterin verzog ich mich aus Robs Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Zehn Minuten später sah ich Cleo auf Robs Kissen dösen. Sie warf mir einen kurzen selbstzufriedenen Blick zu, dann schloss sie wieder die Augen. Der Rumpf der Gottesanbeterin lag unter dem Fensterbrett auf dem Boden.
Zu meinem Schrecken arbeitete sich Cleo rasch zu Mäusen und Vögeln hoch und legte die kopflosen Leichen aufunserer Fußmatte vor der Haustür ab.
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