Cleo
drehten sich nach vorne und ihr Blick folgte dem über den Teppich hüpfenden Ding. Dann schoss eine Pfote nach vorne. Pfote und Papier berührten sich kurz. Das Kätzchen verfiel in ein Verhaltensmuster aus Urzeiten. Es duckte sich, rutschte mit dem Hinterteil hin und her und versuchte sein Ziel zu hypnotisieren.
Warum Katzen das machen, ist ein Rätsel. Bei Menschen kann man etwas Ähnliches nur bei Tennisspielern beobachten,die ihren Hintern von Seite zu Seite schwenken, während sie darauf warten, einen Ball zurückzuschlagen. Vielleicht dient dieses Hinternwackeln dazu, die Muskeln auf beiden Körperseiten auf eine plötzliche Bewegung vorzubereiten.
Die Jungen lachten, als sich Cleo auf den Papierball stürzte und ihn zwischen den Vorder- und Hinterpfoten hin und her schubste.
»Da, jetzt du«, sagte Jason und reichte Rob den Wollfaden. Diesem Kind war die Großmut in Fleisch und Blut übergegangen. »Halt ihn in die Luft, damit sie springen muss.«
Cleo versteckte sich wie eine Attentäterin hinter dem Gummibaum. Als der Papierball über ihren Kopf hinwegflog, sprang sie in die Höhe und packte ihn mit Zähnen und Vorderpfoten. Ohne ihre Beute loszulassen, segelte sie durch die Luft und sah triumphierend und beifallheischend zu uns auf, bevor sie in einem wirren Knäuel aus Beinen, Fell und Papier auf den Boden krachte.
Die arme Papiermaus war innerhalb kürzester Zeit völlig zerfetzt.
Noch mehr beeindruckten Jason allerdings Cleos Fähigkeiten als Strumpfballspielerin. Bald kam er uns täglich besuchen, während ich im Gegenzug nach und nach Bekanntschaft mit der Glitzerwelt von Ginny Desilva machte. Als ich das erste Mal durch die grüne Hecke trat und über den weißen Kiespfad auf das Haus zuging, kam ich mir wie eine ungezogene Göre vor, die aus einer Erziehungsanstalt abgehauen war. Die Gardenienhecke verströmte einen betörenden Duft. Ein Springbrunnen plätscherte. Mit jedem Schritt spürte ich Steves Missbilligung wachsen. Die Desilvas passten nicht zu uns.
»Nur hereinspaziert, Herzchen!«, rief Ginny, als sie die Haustür aufriss. »Sie kommen gerade rechtzeitig für ein Glas Blubberwasser.«
Auf unserer Seite des Ziegenpfads nannte niemand irgendjemanden Herzchen. Jedenfalls nicht, wenn man den Betreffenden kaum kannte. Vor Ginny mit ihren falschen Wimpern und den tollen Wangenknochen war ich darüber hinaus noch nie jemandem begegnet, mit dem es die normalste Sache der Welt war, nachmittags um vier Champagner zu trinken. Voller Bewunderung stellte ich fest, dass sie niemals an zwei Tagen hintereinander dasselbe Kleid trug. Ich bewunderte ihr weißes Ledersofa und die Stahlskulptur, die wie ein Strommast in einer Ecke ihres Wohnzimmers aus dem Boden wuchs. Sie konnte sich nicht mehr an den Namen des Künstlers erinnern, zumindest behauptete sie das. Bei Ginny wusste man nie, ob sie tatsächlich ahnungslos war oder das nur vorgab, um eine ungezwungene Atmosphäre zu schaffen.
Nach ein, zwei Stunden bei Ginny sah die Welt schon viel besser aus. Wenn die Straßenlampen flackernd ansprangen und die Fenster der Bürotürme am Fuß des Hügels gelb zu leuchten begannen, wusste ich, dass ich aufbrechen sollte. Der Kiesweg wogte unter meinen Füßen, wenn ich nach Hause ging, um Abendessen zu kochen und mich um eine hungrige Katze zu kümmern.
Wie bei allen Familienmitgliedern war auch Cleos Interesse an Essen sehr ausgeprägt. Da sie nun einmal eine Halbaristokratin war, stellte sie schnell klar, dass sie sich mit dem Fraß aus der Zoohandlung nicht abgeben würde.
Kaum hatte sie herausgekriegt, dass die wirklich hochklassigen Esswaren aus dem Kühlschrank stammten, Lachszum Beispiel, verbrachte sie viele Stunden damit, seine weiße Tür anzubeten. Gelegentlich fuhr sie versuchsweise mit einer Vorderpfote die Gummidichtung entlang, aber ohne Erfolg.
Eines Morgens öffnete ich den Kühlschrank und sie schoss wie eine Kanonenkugel über den Küchenboden und sprang direkt ins Gemüsefach. Ich befahl ihr, sofort wieder herauszukommen, aber sie vergrub sich nur umso tiefer in den Karotten. Sie würde sich doch nicht das Recht streitig machen lassen, in ihrem eigenen Fünf-Sterne-Restaurant zu wohnen! Als ich sie herausholen wollte, schlug sie mit ihrer Tatze nach mir.
Ich schloss die Kühlschranktür bis auf einen Spalt und linste hinein. Wie sie da hinter dem weißen, kalten Metall mit den Milch- und Saftfächern hervorlugte, wirkte sie nicht mehr ganz so zuversichtlich. Als ich dann die
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