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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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Stadt hinabblickte. Manchmal wird Schmerz kleiner oder verschwindet ganz, wenn man ihn von der Höhe aus in einem größeren Zusammenhang betrachtet. Mit der Zeit und einiger Übung lernte ich, dass es gelegentlich möglich ist, innerlich loszulassen und die Gemütsruhe einer Katze zu erleben, die das irdische Treiben von einem Dachfirst aus beobachtet.
    Wenn ich damals auf das Gewirr der Straßenlampen blickte, fragte ich mich, ob das Leben eines Menschen möglicherweise vorherbestimmt war. Als Sam zwei Jahre alt war, spazierten wir eines Morgens über einen pittoresken Friedhof. Er lief voraus und blieb an einem Grabstein stehen, in den der Name »Samuel« eingraviert war. Er deutete auf den Grabstein und fing laut an zu weinen. Ich musste das rotgesichtige, schluchzende Bündel auf den Arm nehmen und wegtragen. Damals hatte er noch nicht lesen können und begriff auch sicher nicht, was Tod und Friedhof bedeuteten. Wie konnte ein Kleinkind das alles erfassen oder sogar eine schreckliche Vorahnung haben? Noch immer erschauere ich, wenn ich mich an diesen Tag erinnere.
    Der Nachthimmel, der mir einst so kalt und gleichgültig erschienen war, zog mich jetzt einfach durch seine Größe an. Vielleicht waren die Tiefen des Alls ja doch nicht leer, sondernvoller Energie, von der der Mensch nur noch nichts wusste. Statt eines grenzenlosen Nichts könnte das riesige Sternenrund der Ort unseres Ursprungs sein und auch der, an den wir zurückkehren. So weit entfernt und dennoch ganz nah. Das Licht dieser Sterne reiste jahrelang, um dann auf meine Augen zu treffen und Teil meines Erfahrungshorizonts zu werden. Die Sterne waren mir so nah und so fern wie mein geliebter Sam, Teil eines jeden Atemzugs, den ich tat. Der Himmel, die Sterne, Sam und ich waren uns näher, als ich mir jemals vorzustellen gewagt hätte. Vielleicht hatte meine Mutter das gemeint, als sie gesagt hatte, sie hätte Sam im Sonnenuntergang gesehen. Vielleicht war sie ja doch nicht so unsensibel, sondern sogar sehr klug. Wenn einmal die Reihe an mir sein wird, dann werde ich vielleicht feststellen, dass der Tod gar nicht die schreckliche Vollbremsung ist, für die ich ihn jetzt halte, sondern eine Rückkehr zu dem ewigen Geheimnis, nach Hause.
     
    Mit Jasons und Ginnys Beistand brachten wir einen weiteren Winter hinter uns. Vor allem die Abende nach der Schule, als die Tage kürzer wurden, genossen wir. Dann trafen Ginny und ich uns im Garten, um mit einem Gläschen Blubberwasser den Tag ausklingen zu lassen, während wir den Jungen dabei zusahen, wie sie vorm Schlafengehen ihr letztes bisschen Energie aufbrauchten.
    Anfangs war ich darauf hereingefallen, wenn Ginny so tat, als wäre sie ein bisschen beschränkt. Mit den schrillen Ohrringen und den wallenden Haaren wirkte sie wie eine Blondine, die sich als Brünette ausgab. Nichts hätte der Wahrheit ferner sein können. Sie verblüffte mich mit dem Geständnis, nicht nur Hebamme zu sein, sondern auch noch nebenbei ein naturwissenschaftliches Studium zu absolvieren.Lehrreicher war aber wohl, dass sie mich von den Vorzügen von falschem Pelz überzeugte und mir Ohrringe lieh, unter anderem ein Paar lang herunterbaumelnde neonorange Plexiblitze, die einem wirklich einen Schlag versetzen konnten. Ginny brachte mir bei, wie man falsche Wimpern richtig befestigte und dass man vor Plateausohlen keine Angst haben musste. Sie wurde zu der Freundin, von der ich immer geträumt hatte – eine kluge und freundliche Frau mit umwerfendem Humor, die mit einer fast unheimlichen Fähigkeit begabt war, zufällig immer dann aufzutauchen, wenn man sie brauchte.
    Rob und Jason verband ihre innige Liebe zu Cleo. Eines Tages befanden sie, es wäre an der Zeit, dass sie Junge bekam. Als ich ihnen erklärte, dass sie sterilisiert war, waren sie entsetzt.
    »Das ist echt gemein!«, sagte Jason und schüttelte den Kopf.
    »Ja«, fügte Rob hinzu, »Warum wolltest du denn nicht, dass Cleo Babys bekommt?«
    Ginny und ich standen vor einem orangefarbenen Sonnenuntergang auf dem Rasen und lächelten uns an. Mittlerweile sahen wir uns so oft, dass es uns fast vorkam, als bewohnten wir die neuseeländische Version eines afrikanischen Langhauses. Wir wohnten nur eine Biegung auf dem Ziegenpfad voneinander entfernt und die Jungen konnten problemlos zwischen den Häusern hin und her rennen. Ginny und Jason schienen den schäbigen Kitsch bei uns überhaupt nicht wahrzunehmen, der so gar nichts mit dem Luxus bei ihnen gemein hatte.
    »Wisst

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