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Cleo

Titel: Cleo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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Furchtlosigkeit ins Nichts segeln konnte, warum war mir das dann nicht möglich?
    Eine innere Instanz verteidigte gleich einer Löwenmutter mit Zähnen und Krallen alles, was mit Sam zu tun hatte. Wenn ich allein im Haus war, trug ich seinen blauen Pfadfinderpulli wie einen Schal um die Schultern geschlungen. In den Kragen war unbeholfen sein Namensschildchen eingenäht. Die Abzeichen, die ihm für Lesen, Kunst, Schach und (haha) Hausarbeit verliehen worden waren, hatte ich, genauso stolz wie er, mit kleinen sorgfältigen Stichen auf die Ärmel geheftet. Der Pulli war eingegangen, so dass er ihmein wenig zu eng gewesen war. Er roch noch nach ihm und inzwischen auch nach meinen Tränen.
    Mütter sind letztlich machtbesessene Wesen. Wenn wir einen neuen Menschen aus unserem Körper entlassen, durchfährt uns ein Adrenalinstoß, der sehr viel berauschender ist als alles, was Bill Gates oder Pablo Picasso jemals erlebt haben. Milliardenschwere Unternehmen und die bedeutendsten Kunstwerke der Welt verkommen zu Krimskrams verglichen mit der geheimnisvollen Schöpfung eines Menschen. Warum so wenige Frauen bedeutende Konzertmeister, Politiker und Erfinder werden, liegt nicht nur in Vorurteilen begründet (auch wenn es deren genug gibt) oder fehlenden Möglichkeiten (auch daran herrscht kein Mangel). Aber warum sollte sich eine Frau die Mühe machen, eine Symphonie zu schreiben, wenn sie einen Zellhaufen hervorbringen kann, der sie eines Tages fragen wird, ob sie ihm das Auto leihen kann?
    Unsere Liebe zu unseren Kindern gehorcht noch den Gesetzen des Dschungels. Würde Bill Gates etwa sein Leben für Microsoft geben oder hätte Picasso für eines seiner Bilder einen Mord begangen?
    Mütter haben eine Macht, die über die von Politik, Kunst und Geld hinausreicht. Wir sind es, die Leben schenken, Kinder ernähren und sie wachsen lassen. Ohne uns würde die Menschheit wie eine auf einem Fels klebende Alge vertrocknen. Das Wissen um unsere Macht sitzt so tief, dass wir nicht oft darüber reden, allerdings benutzen wir es ständig.
    Diese urtümliche mütterliche Macht wird eingesetzt, um Kinder dazu zu bewegen, grünes Gemüse zu essen, sich beim Pinkeln hinzusetzen und ein paar Zentimeter im Jahr zu wachsen. Wenn wir in einem Supermarkt oder auf einemSpielplatz »Komm sofort her!« rufen, bleiben die Kinder augenblicklich stehen, drehen sich um und traben zu uns zurück – meistens jedenfalls. Es ist ein Wunder. Es funktioniert. Nur weil wir es sagen.
    Vor all den Jahren schenkte ich Sam das Leben, als ich ihn aus mir herauspresste. Da musste ich doch jetzt auch genug mütterliche Macht aufbringen können, um ihn ins Leben zurückzuholen, oder? »Komm sofort zurück!«, rief ich durch das ganze Universum. Das Schweigen, das ich zur Antwort erhielt, war finsterer als die Nacht. Ich sehnte mich danach, wenigstens seinen Geist am Fußende seines Bettes stehen zu sehen. Aber Sam hatte sich weiter als bis zu den entferntesten Sternen entfernt, er war in das leere Nichts des Universums eingegangen.
    Ich hatte Angst, zufällig einem von Sams Schulfreunden zu begegnen. Ihre unschuldigen Gesichter weckten nach wie vor völlig irrationale Ressentiments in mir, für die ich mich später immer sehr schämte. Auch wenn ich einen blauen Ford Escort sah, flammte Zorn in mir auf. Noch war mir der Gedanke nicht gekommen, dass das Geschehen am 21. Januar das Leben dieser Frau fast genauso sehr zerstört haben könnte wie unseres. Oft fragte ich mich, was genau an diesem Tag passiert war. Als Sam auf der Straße lag, war Rob den Ziegenpfad hochgelaufen, um Steve zu holen. War sie aus dem Auto gestiegen, um sich um das sterbende Kind zu kümmern?
    Doch der Anblick einer kleinen Katze, die den Flur hinuntersprang, konnte meine Laune augenblicklich bessern. Lenas Rat, unser Kätzchen einfach gernzuhaben, war mir vor gar nicht mal so langer Zeit noch als ein Ding der Unmöglichkeit erschienen. Cleo hatte uns allerdings mit so viel Liebe überschüttet, dass uns gar nichts anderes übrig blieb,als diese Liebe zu erwidern. Sie hatte sich als jüngstes und fröhlichstes Familienmitglied einen Platz in unserem Leben nach Sam erobert. Dass ich einmal vorgehabt hatte, sie Lena zurückzugeben, konnte ich kaum noch glauben.
     
    Die Blätter der Birke in unserem Garten verwandelten sich in einen Vorhang aus Goldmedaillons, der vor den blaugrauen Ästen schimmerte. Ohne jede Furcht vor der Zukunft erblühte eine spätsommerliche Rose an einem Busch.
    Ein

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