Cleopatra
Serie«, sagte sie, nachdem sie ein wenig auf ihrer Computertastatur herumgetippt hatte. »Von 1963. Man findet sie höchstens noch in der Dorfkneipe.«
›The local pub‹ sagte sie natürlich mit dem romantischen italienisch-hebräischen Akzent der meisten Malteser.
Ich fragte sie, welches Dorf sie meinte, und sie betrachtete stirnrunzelnd die Abbildung der Bucht mit dem bescheidenen Saum eckiger alter Gebäude.
»Das ist natürlich Xlendi.«
»Natürlich.« Marga erwiderte ihr Lächeln. »Und wie kommen wir dorthin?«
»Mit der Fähre. Xlendi liegt auf Gozo.«
»Schön!«, sagte Marga. »Mit einem Boot.«
Sie hatte im Grand Harbor eine Dghajsa gesehen, in deren Mitte ein mürrischer alter Mann stand, der wie seine Berufskollegen in Venedig mit langem Ruder das Boot fortbewegte, während ein junges Paar auf der hinteren Bank von Familienplanung träumte.
In den Niederlanden ist Marga vernünftiger als ich, doch außerhalb der Landesgrenzen, und zwar vor allem an Orten, die nach Fischernetzen riechen und wo alles sonniger und heißblütiger aussieht, steigen gefährliche Gedanken in ihr auf, zum Beispiel über die liebevolle Produktion talentierter Söhne, die alle Alexander heißen sollen.
Sie lehnte sich an mich, warm und weich auf einer harten Bank auf der kleinen Fähre nach Mgarr. Ich blies ihr die Haare aus der Stirn, pustete die kleinen Schweißtröpfchen an und lauschte dem Brummen des Motors. Der alte Steuermann schaute aus seiner gläsernen Kabine neidisch zu mir herüber, weil ihm seine Religion verbot, seine sonnengegerbte Schmerzensfrau gegen die schöne Marga einzutauschen, die in meinen Armen schlief, eine Hand auf meinem Oberschenkel, ihre rosigen Kurven sichtbar unter dem goldbraunen Stoff ihrer halb offenen Bluse.
Ich dachte an Clara und an mein auf wenigen Tatsachen beruhendes Gefühl, sie könne ein – inzwischen als tabu geltendes – Rätsel lösen, wenn es mir gelänge, sie zu finden. Es war noch immer dasselbe abstrakte Gemälde: Ich erkannte ein paar Teile, aber nicht das Ganze. Ich machte mir vor, deswegen sei ich gar nicht hierher gekommen, sondern ich hätte lediglich aus purer Unzufriedenheit über einen nicht zu Ende geführten Auftrag den trotzigen Entschluss gefasst, mich ein paar Tage mit Marga aus dem Staub zu machen, um das ganze Theater zu vergessen. Marga war natürlich nicht darauf hereingefallen und hatte mich sofort mit der Frage in die Enge getrieben: »Schön, aber warum nach Malta?«
»Weil im Reiseführer steht, zu dieser Jahreszeit sei es dort wunderschön.«
»Sogar die Lofoten sind wunderschön zu dieser Jahreszeit«, erwiderte Marga. »Jedenfalls, wenn man ein Auge dafür hat, ich meine, wenn man nicht mit einem Buch in der Kajüte sitzt, während einem das vollständige Mysterium des Lebens offenbart wird, wenn man sich nur einmal die Mühe macht, in das Wasser der Fjorde zu blicken.«
Dass Marga Künstlerin war, konnte man nicht überhören. »Manchmal machen mich Mysterien ganz nervös.«
Schon von weitem konnte man das Kuppeldach des Doms von Xewkija erkennen, aber wir fuhren sofort weiter in die Hauptstadt von Gozo, Victoria, in einem Bus, der, wie alles auf Malta, unter dem Schutz einer von kleinen Lämpchen erleuchteten Madonna stand.
Nicht nur von dem schönen Wetter hatte ich gelesen, sondern auch, dass man trotz der Madonna nicht mit regelmäßigen Abfahrtszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel rechnen dürfe, so dass ich in Victoria auf dem von Bussen gemiedenen It-Tokk-Platz vorschlug, uns wie Touristen zu verhalten und die Zitadelle zu erklimmen, von wo aus uns der Reiseführer eine wunderbare Aussicht über die ganze Insel versprach.
»Ich lasse es mir gefallen, wenn du wegen des Modells der Ggantija-Tempel und dem Steinphallus dort hinauf willst, aber nicht, wenn du wegen der Frau gehst«, sagte Marga, die mir den Reiseführer aus der Hand genommen hatte.
An einem Stand auf der anderen Seite des Platzes wurden Schwertfische in Stücke gehackt und der Geruch von Flossen, Eingeweiden und anderen Fischresten, die vom Tisch hinunter auf die Pflastersteine geschoben wurden, hing schwer über dem Platz. Ich schaute mich nach einem Ort um, wo ich unser Gepäck in Aufbewahrung geben konnte. Einer der Gründe, warum meine Verliebtheit in Marga nicht nachließ, war, dass sie mit leichtem Gepäck reiste. Die meisten anderen Frauen können ohne Riesenkoffer, Hutschachteln und Beautycase noch nicht einmal ein Wochenende wegfahren. Marga dagegen
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