Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Liebe, halten Sie das für weise?« Aus Lizzie Macarthurs Stimme war die Besorgnis herauszuhören. »Sie müssen nicht hier sein. Niemand erwartet das von Ihnen. Möchten Sie nicht lieber allein sein? Wenn Sie wollen, bringe ich Sie zu Ihrem Bungalow . oder bleiben Sie doch über Nacht bei mir. Ich wache gern an Ihrer Seite. Würde das helfen?«
»Sie sind ein Schatz, Lizzie!«, erklärte Madeleine. »Aber ich kann jetzt nicht allein sein. Ich würde . ich würde auseinander brechen. Ich fühle mich . sicherer . wenn ich Menschen um mich habe. Der Himmel weiß, ich mag keine Cocktailpartys, aber das ist immer noch besser, als mir den Kopf zu scheren und zu wehklagen, was von mir in diesem Augenblick wohl erwartet wird.«
Sie lächelte zittrig, hob ihr Kinn und erklärte mit festerer Stimme: »Joe, darf ich Ihnen meinen Bruder Stuart vorstellen. Es ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, aber er muss mit Ihnen reden.«
»Stuart, freut mich, Sie kennen zu lernen!«
Stuart Mercer sah ebenso gut aus wie seine Schwester, mit demselben Teint. Sein blondes Haar glänzte vor Brillantine. Das Lächeln fiel ihm augenscheinlich schwer, und sein markiges Gesicht war steif vor Anspannung, aber eine Sekunde lang erhaschte Joe das Aufblitzen makellos weißer Zähne und einen Hauch Wärme in den harten, braunen Augen.
»Danke, Joe«, sagte er ohne Einleitung. »Danke, dass Sie bei Maddy waren. Für alles, was Sie getan haben.«
»Ich habe noch gar nicht angefangen«, erklärte Joe. »Eine schlimme Sache. Ich würde mir morgen gern anhören, was Sie zu sagen haben. Sollen wir gleich einen Zeitpunkt vereinbaren? Wie wäre es mit neun?«
»Klingt gut. Also um neun.«
Madeleine, die den Druck auf Joes Arm verstärkte, war ängstlich bemüht, die kurz angebundene Unterhaltung der Männer zu unterbrechen. »Wollen Sie denn gar nichts zu meinem Kleid sagen?«, zischelte sie.
»Sie sehen entzückend aus, Maddy! Regelrecht umwerfend«, erklärte Joe, der sich freute, eine Entschuldigung zu haben, um seinen Blick über sie schweifen zu lassen.
»Joe, darum geht es doch gerade«, erklärte Lizzie Macarthur ungeduldig. »Verstehen Sie denn gar nicht, worauf sie hinaus will? Sie fürchtet, die Wahl ihres Kleides könne einen Fauxpas darstellen, ange-sichts der traurigen Ereignisse dieses Tages. Und genauso ist es! Habe ich nicht Recht, Maddy?«
»Nur allzu Recht!«, explodierte Madeleine. »Und es ist nicht meine Schuld! Kurz bevor zum Ankleiden geläutet wurde, erhielt ich eine Nachricht. Sollte ich planen, an der Abendgesellschaft teilzunehmen, sei es angemessen, wenn ich etwas Weißes trage, da Weiß in Indien die Farbe der Trauer ist. Ein freundlicher Hinweis von meiner wunderbaren, rücksichtsvollen Stiefschwiegermutter!«
Joe brauchte eine Sekunde, um sich einen Reim zu machen. »Ihre Dritte Hoheit hat Sie hereingelegt.«
»Das kann man wohl sagen! Sie kommt ganz in Schwarz hereingesegelt, wie all die anderen Briten, und ich stehe da wie eine Variete-Nummer!«
»Wenigstens hatten Sie so viel Verstand, sich keine rote Clownsnase umzubinden«, meinte Joe tröstend.
»Keine Sorge, Madeleine«, sagte Lizzie. »Ich sorge dafür, dass die anderen es verstehen.«
Madeleine lächelte dankbar, aber unbeschwichtigt. »Haben Sie sie schon getroffen, Joe?«
»Nein, noch nicht.«
»Das sollten Sie schleunigst nachholen. Sie wird es für unhöflich halten, wenn Sie es noch weiter hinauszögern, vor allem, weil Sie mit mir plaudern. Lizzie kann Sie einander vorstellen - sie steht da drüben beim Doktor.«
Shubhada stand am anderen Ende des Raumes und unterhielt sich mit Sir Hector. Ihr Blick wanderte ruhelos über die anderen Gäste. Als sie sah, dass Joe sich ihr näherte, fischte sie aus ihrer Handtasche eine Zigarettenspitze und eine Zigarette, und auf ihre Bitte hin zog Sir Hector los, um etwas zu finden, womit er die Zigarette anzünden konnte. Shubhada drehte sich Joe mit einem Begrüßungslächeln zu, und Lizzie stellte sie einander vor. Joe zog ein Feuerzeug aus seiner Tasche und zündete die Zigarette an, die sie in den schwarzen Jadehalter gesteckt hatte. Es amüsierte ihn, dass sie weder begeistert noch routiniert rauchte, und er kam zu dem Schluss, dass sie diese Zurschaustellung von Weltgewandtheit nur seinetwegen demonstrierte.
Sie tauschten Höflichkeiten aus, und er vertraute ihr seine ersten Eindrücke des Palastes an.
»Sie müssen auch die Umgebung kennen lernen«, riet Shubhada. »Das Grundstück ist
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