Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
Gestank wie am Ufer der Themse, wo alles Mögliche verrottete und vor sich hin faulte. Und darüber lag der kupferartige Geruch von Blut. Eine Büchervitrine war umgestürzt und zerbrochen – ein Wirrwarr aus Glassplittern und Holzstücken. Und daneben, auf dem Perserteppich, lag Henry, in einen Ringkampf mit einem grauhäutigen Ding verwickelt, das beunruhigend viele Arme besaß.
Henry schrie und trat mit seinen langen Beinen wild um sich, während das Wesen – zweifellos ein Dämon – mit scharfen Krallen auf seine Schattenjägermontur einschlug und versuchte, mit der wolfsartigen Schnauze nach Henrys Gesicht zu schnappen.
Hastig schaute Tessa sich um, schnappte sich den Schürhaken, der neben dem offenen Kamin lag, und ging zum Angriff über. Dabei versuchte sie, sich ihr Training wieder ins Gedächtnis zu rufen – jene langen Stunden, in denen Gideon ihr alles über Gewichtsverteilung, Schnelligkeit und Griffhaltung beigebracht hatte. Doch letztendlich folgte sie ihrem Instinkt, der sie dazu bewog, der Kreatur den Schürhaken in den Rumpf zu rammen, genau in die Stelle, wo sich bei einem echten Lebewesen der Brustkorb befunden hätte.
Als sich die Waffe in die Flanke des Wesens bohrte, hörte Tessa, wie irgendetwas knirschte – und dann stieß der Dämon auch schon ein hundeartiges Heulen aus und rollte von Henry herab. Der Schürhaken fiel scheppernd zu Boden, schwarzes Sekret sprühte in alle Richtungen und der Gestank von Rauch und Verwesung erfüllte die Luft. Tessa taumelte rückwärts, wobei sich ihr Absatz im aufgerissenen Saum ihres Kleids verfing. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden, während Henry sich herumwarf, einen unterdrückten Fluch ausstieß und dem Dämon mit einem Dolch, auf dessen Klinge helle Runen leuchteten, die Kehle aufschlitzte. Der Dämon brachte ein letztes Röcheln hervor und fiel dann wie eine Pappfigur in sich zusammen.
Schwankend stand Henry auf. Schwarzes Blut und Dämonensekret klebten in seinem rotblonden Haar. Seine Kampfmontur war an der Schulter aufgerissen und eine scharlachrote Flüssigkeit sickerte aus der Wunde. »Tessa!«, rief er und hastete zu ihr, um ihr aufzuhelfen. »Beim Erzengel, wir sind ja ein schönes Paar«, bemerkte er auf seine typische, wehmütige Weise und musterte sie besorgt. »Du bist nicht etwa verwundet, oder?«
Tessa schaute an sich herab und verstand dann, was er meinte: Ihr Kleid starrte vor Dämonensekret und über ihren Unterarm verlief eine hässliche Schnittwunde, die sie sich bei ihrem Sturz in die Glasscherben zugezogen hatte. Die Verletzung verursachte zwar kaum Schmerzen, hatte aber stark geblutet. »Mir geht es den Umständen entsprechend gut«, erklärte sie. »Aber was ist mit dir, Henry? Was war das für ein Ding?«
»Das war ein Wächterdämon. Ich wollte gerade Benedicts Schreibtisch durchsuchen und muss dabei irgendetwas verstellt oder berührt haben, das ihn zum Leben erweckte. Plötzlich quoll schwarzer Rauch aus einer der Schubladen und verwandelte sich in das da. Es hat mich angesprungen …«
»… und dir mit seinen Krallen die Haut aufgerissen«, stellte Tessa besorgt fest. »Du blutest …«
»Nein, das war ich selbst. Ich bin auf meinen Dolch gefallen«, räumte Henry kleinlaut ein und zog eine Stele aus seinem Gürtel. »Aber bitte erzähl Charlotte nichts davon.«
Tessa musste ein Lächeln unterdrücken. Dann erinnerte sie sich jedoch wieder an den Ernst der Situation, durchquerte rasch das Zimmer und zog die Vorhänge vor den hohen Fenstern zurück. Von hier aus bot sich ein Blick über den Park mit seinen grünen Buchsbaumhecken und bereits winterlich verblassten Gräsern, aber leider nicht über den italienischen Garten, da sie sich im abgewandten Teil des Hauses befanden. »Ich muss los«, sagte sie. »Will und Jem und Cecily … sie kämpfen gerade gegen dieses Schlangenwesen. Es hat Tatiana Blackthorns Mann getötet. Ich musste sie zur Kutsche zurückschleppen, da sie fast in Ohnmacht gefallen wäre.«
Einen Moment lang herrschte Stille. Dann sagte Henry mit seltsamer Stimme: »Tessa.«
Als sie sich umdrehte, sah sie, dass er gerade dabei gewesen war, sich eine Heilrune auf den Unterarm aufzutragen, jetzt aber auf die gegenüberliegende Wand starrte – auf die Wand, deren dunkle Flecken Tessa bereits vorher bemerkt hatte. Nun erkannte sie jedoch, dass es sich nicht um irgendwelche Dreckspritzer handelte, sondern um große Buchstaben, die jemand offenbar mit schwarzem Blut auf die
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