Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
wäre.
»Das glaube ich dir sogar«, sagte sie. »Ob Konsul Wayland dir Glauben schenken wird, steht auf einem anderen Blatt, aber so stehen die Dinge nun einmal. Wenn du mir nun eine Adresse geben würdest …«
»Aber ich habe keine andere Adresse«, erwiderte Gabriel verzweifelt. »Wohin soll ich Ihrer Meinung nach denn gehen?«
Charlotte schaute ihn ruhig an, eine Augenbraue fragend hochgezogen.
»Ich will bei meinem Bruder bleiben«, verkündete Gabriel schließlich. Er war sich durchaus darüber im Klaren, dass er bockig und wütend klang, wusste sich jedoch keinen anderen Rat.
»Aber dein Bruder lebt jetzt hier«, wandte Charlotte ein. »Und du hast keinen Zweifel daran gelassen, was du vom Institut und meinem Anspruch auf den Posten seiner Leiterin hältst. Jem hat mir von deinen Überzeugungen erzählt. Dass mein Vater deinen Onkel dazu gebracht hätte, sich das Leben zu nehmen. Was übrigens nicht stimmt – aber ich erwarte nicht, dass du mir glaubst. Allerdings stellt sich mir die Frage, warum du dennoch hierbleiben willst.«
»Das Institut ist eine Zufluchtsstätte.«
»Hatte dein Vater vor, es als Zufluchtsstätte zu führen?«
»Das weiß ich nicht! Ich habe keine Ahnung, welche Pläne er schmiedet … geschmiedet hat!«
»Und warum hast du ihm dann zugestimmt?«, hakte Charlotte leise, aber unerbittlich, nach.
»Weil er mein Vater war!«, brüllte Gabriel mit einem Schluchzen in der Kehle. Er wandte sich von Charlotte ab, schlang reflexartig die Arme um seinen Körper und schaukelte hin und her, als könnte er dadurch verhindern, vollends zusammenzubrechen.
Erinnerungen aus den vergangenen Wochen, die Gabriel nach besten Kräften zu unterdrücken versucht hatte, drohte ihn zu überwältigen: die vielen Stunden allein im Haus, nachdem fast alle Dienstboten fort waren; die Geräusche, die aus den Räumen im Obergeschoss gedrungen waren; die Schreie in der Nacht; das Blut auf den Treppen am nächsten Morgen; das wirre Zeug, das sein Vater hinter der verschlossenen Bibliothekstür von sich gab, als könnte er keine richtigen Worte mehr bilden …
»Wenn Sie vorhaben, mich auf die Straße zu werfen …«, setzte Gabriel mit schrecklicher Verzweiflung an, »dann tun Sie es jetzt sofort. Ich möchte mich nicht an die Hoffnung klammern, ich hätte ein Heim, wenn das in Wahrheit nicht der Fall ist. Oder meinen Bruder noch einmal zu sehen, wenn auch das nicht geschehen wird.«
»Glaubst du nicht, er würde dir nachgehen? Dich suchen und finden, egal, wo du bist?«
»Ich denke, er hat bewiesen, wer ihm am meisten am Herzen liegt – und das bin nicht ich«, erwiderte Gabriel. Er richtete sich langsam auf und ließ die Hände herabsinken. »Schicken Sie mich fort oder lassen Sie mich bleiben. Ganz wie Sie wollen. Aber ich werde nicht betteln.«
Charlotte seufzte. »Das brauchst du auch nicht«, sagte sie. »Ich habe noch nie jemanden fortgeschickt, der mir gesagt hat, er könne sonst nirgendwohin. Und ich werde auch nicht jetzt damit anfangen. Eine Sache erwarte ich allerdings von dir. Die Tatsache, dass ich jemandem gestatte, im Institut zu leben, mitten im Herzen der Brigade – diese Tatsache bedeutet, dass ich mein volles Vertrauen in die ehrlichen Absichten dieser Person setze. Lass es mich nicht bereuen, dass ich dir vertraut habe, Gabriel Lightwood.«
Die Schatten in der Bibliothek waren länger geworden. Tessa saß in einem Lichtkegel am Fenster, neben einer Lampe mit blauem Schirm. Ein Buch lag seit mehreren Stunden aufgeschlagen auf ihrem Schoß, aber sie hatte sich nicht darauf konzentrieren können. Ihre Augen huschten über die Worte auf den Seiten, ohne deren Bedeutung wirklich aufzunehmen, und Tessa musste regelmäßig innehalten, weil sie sich zu erinnern versuchte, welche Person sich hinter einem Namen versteckte oder welche Rolle sie im Roman spielte.
Sie hatte gerade ein weiteres Mal mit Kapitel fünf angefangen, als das Knarren von Holzdielen sie von ihrer Lektüre aufschauen ließ: Will stand direkt vor ihr, mit feuchten Haaren. In seinen schlanken Fingern hielt er seine Handschuhe.
»Will.« Tessa legte das Buch auf die Fensterbank. »Du hast mich erschreckt.«
»Ich wollte dich nicht stören«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Wenn du gerade liest …« Er wandte sich zum Gehen.
»Nein, nein«, wiegelte Tessa rasch ab, worauf er stehen blieb und ihr einen Blick über die Schulter zuwarf. »Ich kann mich einfach nicht auf die Worte konzentrieren. Die Gedanken in meinem
Weitere Kostenlose Bücher