Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
zu denken, hier sind auch Deformationen von Menschen in Sozialberufen relevant. Dabei geht es immer um einseitige Ausformungen
im Denken und Handeln, also der gesamten Persönlichkeit (
Fengler
1992). Wenn solche Ausformungen von den Betreffenden oder ihrem Umfeld als Belastung erlebt werden, kann es zu Krisen kommen,
die professionelle Unterstützung sinnvoll erscheinen lassen. Gründe für derartige Deformationen können in berufsgruppenspezifischen
Orientierungsmustern, in organisationskulturellen Phänomenen, in der Spezifität der beruflichen Interaktionspartner, in selbst
auferlegten konzeptionellen Verengungen und anderen Faktoren liegen.
Eine sattsam bekannte Deformation bei Ärzten und Krankenpflegepersonal (
Anderson
1991;
Schreyögg
1994a) ist das Bestehen auf subjektiver Handlungssicherheit. Jede Verunsicherung unterliegt der Verdrängung, weil dadurch
allzu leicht die gesamte berufliche Identität bedroht scheint. Wenn aufgrund äußerer Umstände die Abwehrmechanismen zusammenzubrechen |83| drohen, entsteht Stress, der bis zur Entwicklung massiver Symptome führen kann.
Der Pflegedienstleiter einer Universitätsklinik, der in allen seinen bisherigen Tätigkeitsfeldern als erstklassig galt, suchte
wegen massiver Schlafstörungen um Coaching an. Nach einer genauen Analyse seiner Arbeit stellte sich heraus, dass vor einem
Jahr ein »widerlicher Macher« in der Klinik aufgetaucht war. Es handelte sich dabei um einen Arzt, der nicht aus wissenschaftlichem
Ehrgeiz (»der kann sowieso nichts mehr werden, nur all die anderen eitlen Affen«), sondern aufgrund einer Vaterübertragung
zum Chefarzt immer nach den »kompliziertesten Patienten« fahndete und mit ihnen »als Experimentierfutter« die gesamte Intensivstation
»vollstopfte«. Die dadurch erzeugte chronische Überforderung der Pflegemitarbeiter dieser Abteilung wurde natürlich laufend
in Form von Klagen usw. an den Pflegedienstleiter herangetragen. Er versuchte daraufhin, zuerst »den Macher« um Veränderung
zu bitten, als dies nichts half, den Chefarzt zu bewegen, auf den »Macher« Einfluss zu nehmen. Auch dies erwies sich als völlig
ineffektiv, sodass er zuletzt »in ein entsetzliches Ohnmachtschaos« geriet, das seine Abwehr völlig überforderte. Erst als
er sich seine aktuellen Ohnmachtsgefühle gelassener zugestehen konnte, gelang es ihm, durch sachliche Interventionen in einem
übergeordneten Kuratorium den Ansprüchen seiner Mitarbeiter angemessen Geltung zu verschaffen.
Oft erweisen sich auch organisationskulturelle Phänomene als deformierend.
Die Mitarbeiterin einer Europabehörde für Agrarwissenschaft, selbst Expertin in diesem Gebiet, hatte fast übermenschliche
Anstrengungen unternommen, um eine Anstellung in dem System zu erhalten. Nun, da sie bereits drei Jahre in diesem Institut
in einer südeuropäischen Stadt verbracht hatte, merkte sie, wie ihr zunehmend jede Initiative versackte. Nach einer eingehenden
Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitsplatz zeigte sich, dass von Vorgesetzten und Kollegen jede neue Anregung zwar freundlich
interessiert aufgenommen wurde, dass aber alle Papiere, in denen sie neue Projekte umriss, monatelang auf den Schreibtischen
liegen blieben, nicht weitergeleitet wurden, obwohl sie oft unter Hinweis auf Zeitdruck von ihr angefordert wurden. »Es geht
nie etwas weiter«, meinte sie, »da ist alles so nett, so interessant die Schulungen, die wir in Afrika usw. machen, aber es
bleibt seicht.« Ihr fiel zunehmend auf, dass aufgrund der vielfältigen politischen Verflechtungen jedes landwirtschaftliche
Entwicklungsprojekt bis zu seiner Realisierung von so vielen Instanzen so umfassend modifiziert wurde, dass niemand je die
Früchte seiner Arbeit erleben konnte. Das erzeugte bei den Mitarbeitern Gefühle von Entfremdung, die aber nicht eingestanden
wurden, weil die Behörde als überdurchschnittlich attraktiv galt, d. h. sehr hohe Gehälter zahlte, |84| viele Vergünstigungen einräumte usw. »Da ist es mir zu oberflächlich, ich komme richtig in einen ›Trance-Sog‹, ich fürchte
doch, ich muss da weg,« meinte sie resigniert.
Berufliche Deformationen können natürlich auch durch berufliche Interaktionspartner verursacht sein.
Eine Psychologin, die in einer stationären Einrichtung für Drogenabhängige tätig war, hatte sich schon während ihres Studiums
und auch später in ihrer Therapieausbildung mit den besonderen
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