Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
mildern oder begrenzen.
Der Inhaber eines Schmiedebetriebes suchte mich wegen laufender Querelen mit dem Leiter der Entwicklungsabteilung auf. Im
Verlauf einer eingehenden Analyse stellte sich Folgendes heraus: Der jetzige Firmeninhaber hatte den gut florierenden Betrieb
nach dem Tod seines Vaters übernommen. Der Leiter der Entwicklungsabteilung war vor zwei Jahrzehnten als junger Ingenieur
in die Firma eingetreten. Er genoss wegen seines Erfindungsreichtums hohes Ansehen bei dem alten Eigentümer, denn besonders
durch ihn bzw. durch seine vielen Patente gelangte die Firma zu einem Spitzenplatz in der Branche. Der Alteigentümer genoss
auch umgekehrt bei dem Ingenieur hohes Ansehen, denn dieser ließ ihn im Hinblick auf seine Entwicklungsarbeit respektvoll
gewähren und zog ihn bei allen wichtigen Belangen zurate. Der Sohn wollte nun in die Fußstapfen seines Vaters treten und den
Ingenieur gleichfalls laufend als Kommunikationspartner bemühen. Das erwies sich aber als äußerst problematisch: Plötzlich
verbummelte der Entwicklungsleiter Termine, hatte gegen alles und jedes, was der junge Inhaber vorschlug, Bedenken, reagierte
zunehmend gereizt oder abweisend, worauf der neue Inhaber seinerseits gereizt reagierte usw. Zum Schluss eskalierte die Interaktion
so weit, dass der Ingenieur in Erwägung zog, in den vorzeitigen Ruhestand zu treten. Das aber versetzte den neuen Inhaber
vollends in Panik.
Im Verlauf einiger Coaching-Sequenzen gelang es dem Inhaber zu verstehen, dass die Beziehung zwischen seinem Vater und dem
Ingenieur wegen der Altersgleichheit, wegen der langjährigen gemeinsamen Arbeit usw. völlig anders gelagert war und dass er
als sehr viel jüngerer Mann nicht die gleiche Form der Interaktion erzwingen könne. Er begann aber vor allem zu verstehen,
dass der Ingenieur nun, da die Firmenleitung auf einen jungen Eigentümer übergegangen war, in aller Deutlichkeit zur Kenntnis
nehmen musste, dass er als angestellter Manager zwar für den Erfolg der Firma maßgeblich gewesen war, aber doch keine faktische
Verfügungsgewalt besaß. Diesen objektiven Faktor, der in der alten, gewachsenen Konstellation immer verwischt worden war,
erlebte der Ingenieur nun gegenüber dem Nachfolger unterschwellig als strukturelle Kränkung. Als Ergebnis der Beratung entschied
sich der Inhaber, mit dem Ingenieur so offen als möglich über diese Zusammenhänge zu sprechen und ihn herzlich zu bitten, |121| ihm zu ausgezeichneten Konditionen noch einige Zeit zur Seite zu stehen. Die Offenheit des Inhabers führte auch aufseiten
des Ingenieurs zu einer neuen Haltung. Er sah sich von nun an in einer hoch geschätzten, väterlich unterstützenden Position.
Eine andere Gruppe von Beziehungsphänomenen, die Manager einbringen, stellen interaktive Eskalationen dar, die als
Mobbing
zur Aussonderung Einzelner aus Gruppen oder als zermürbendes »Zweipersonenstück« zur Irritation ganzer Abteilungen führen
können. Durch Behandlung aller dieser Fragestellungen erfahren Gecoachte eine fortlaufende
Sensibilisierung
. Dadurch können sie solche Erscheinungen nicht nur besser verstehen, sondern im Sinne einer guten Personalführung auch sinnvoller
handhaben und ihnen sogar vorbeugen.
Vertieftes Verstehen von Systemzusammenhängen
Ein anderer wichtiger Themenbereich betrifft das
Systemverstehen
bei Managern. Die Managementliteratur quillt zwar derzeit fast über von »Systemgerede«, von Überlegungen zur Chaos-Theorie
usw. Ein spezifisches System zu erfassen und facettenreich zu verstehen stellt aber Anforderungen an die Deutungsfähigkeit,
die sich nur über sukzessive Schulung erwerben lässt. So kennt heute auch jeder Manager eine Vielzahl von Publikationen zum
Phänomen »Unternehmenskultur« (
Schein
1984, 1985). Eine Kultur oder Subkultur zu verstehen erfordert aber sensible und vielfältige phänomenologische Zugangsweisen,
die bislang selten thematisiert wurden (vgl.
Gagliardi
1990) und die auch durch die Forschung noch kaum abgedeckt sind (
Osterloh
1991 u. a.).
Insbesondere beim Coaching von Managern aus »Alles-oder-Nichts-Kulturen«, in denen oft stark individualisierende Perspektiven
transportiert werden, geht es dann vielfach um Fragen, warum sich zwei Abteilungen laufend bekämpfen, warum eine neu aufgekaufte
Firma so schwer in die alte integrierbar ist, warum ein Subsystem mit einem neuen Leiter nicht mehr so gut funktioniert, obwohl
der »doch ein sehr
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