Coaching - Eine Einfuehrung fuer Praxis und Ausbildung
plastisch vorstellen«, oder: »Ich schlage Ihnen vor, Ihren Interaktionspartner auf diesen
leeren Stuhl zu phantasieren.« In Anfangsstadien von Coaching ist es sogar sinnvoll, einen Methodenvorschlag zu begründen,
damit Klienten besser entscheiden können, ob die vorgeschlagene Methodik für sie sinnhaft wirkt; z. B.: »Damit Sie sich die
Situation noch einmal genauer anschauen können und ich auch einen etwas plastischeren Einblick bekomme, möchte ich Ihnen vorschlagen,
dass Sie mir mal vorspielen, wie Sie in dieser oder jener Situation agiert haben.«
Bei der Anwendung von Theorien lässt sich ähnlich vorschlagsmäßig intervenieren, z. B.: »Nachdem wir uns jetzt Ihre Beziehung
zu X angesehen haben, wäre es vielleicht lohnend, diese Beziehung auf dem Hintergrund des beruflichen Systems zu beleuchten.
Haben Sie Lust, diese oder jene Aspekte der Organisation usw. zu untersuchen?«
|193| Im Verlauf gemeinsamer Arbeit ergeben sich allerdings manchmal auch längerfristige asymmetrische Phänomene. Sie resultieren
potenziell aus einem starken fachlichen Kompetenzgefälle zuungunsten des Klienten oder aus alten traumatischen Szenen, die
als projektive Phänomene auch die gesamte Coachingsituation überlagern können.
Klienten in schweren Krisensituationen neigen gelegentlich dazu, den Coach als »Retter« zu definieren. Menschen in der Qutplacement-Beratung
legen z. B. oft ihre sonst verfügbare Kritikfähigkeit ab und wünschen sich im Prinzip, dass ihr Kummer vom Coach »weggezaubert«
wird. In solchen Fällen müssen Berater mit Klienten besonders sorgsam interagieren, d. h. sie dürfen die temporäre Abhängigkeit
von Klienten nicht grundlegend zurückweisen, sie aber auch nicht zu ihrer eigenen narzisstischen Befriedigung ausbauen.
Die Dimension Direktivität/Non-Direktivität
Die Dimension Direktivität/Non-Direktivität bezeichnet das Ausmaß, in dem der Coach den Klienten aktiv lenkt. Sie steht zu
Phänomenen von Symmetrie versus Asymmetrie in Beziehung. Eine grundlegende Komponente des Interaktionsstils dieses Coaching-Ansatzes
besteht darin, Klienten nicht zu lenken, sondern ihre Selbstlenkungspotenziale zu stärken. Diese Aussage enthält aber, pauschal
formuliert, eine milde Paradoxie; denn jede Förderung schließt letztlich Lenkung ein (
Schreyögg
1991). In diesem Zusammenhang scheint eher erklärungsbedürftig, mit welcher Haltung, bei welchen Anlässen und in welchem Stadium
gemeinsamer Arbeit der Coach wohin lenkt.
Zu Beginn einer Sitzung oder zu Beginn eines gesamten Coaching-Prozesses, wo es um die Feststellung von Themen und Zielen
geht, überlässt der Coach dem Klienten die gesamte Initiative. Um aber die vom Klienten gewünschten Ziele zu realisieren,
muss der Coach variabel zwischen Lenkung und Nicht-Lenkung variieren. Eine professionelle Haltung erfordert zum einen, dass
der Coach seine theoretischen und methodischen Möglichkeiten aktiv in die Beratung einbringt. Eine solche Haltung erfordert
zum anderen, dass der Coach seine Potenziale, wo sie nicht gefragt oder notwendig sind, zurückhält. Im anderen Fall behindert
er die Klienten nur in ihrem Selbstgestaltungsfluss.
Bei manchen Beratungsanlässen muss der Coach aber durchaus aktiv lenken. Wenn z. B. unbewusste Muster von Klienten berührt
werden, deren Bearbeitung mit Regressionen einhergeht, wäre es sogar unverantwortlich |194| , wenn Berater nicht den aktiv strukturierenden Part übernähmen. Hier besteht nämlich analog zu psychotherapeutischen Situationen
immer die Gefahr, dass Klienten in ihren Gefühlen versacken und keine neue, jetzt konstruktivere Erfahrung machen können.
Wie im Beispiel von der Filialleiterin einer Fast-Food-Kette deutlich wurde, lebten während der angesprochenen Coaching-Sequenz
sehr starke Gefühle bei ihr auf. In dieser Situation weinte sie heftig, weil sie sich von den Eltern sehr verlassen fühlte.
Als Beraterin nahm ich sie daraufhin in den Arm, um ihr den Trost zu spenden, den sie damals vermisst hatte. Sie genoss diesen
Trost sehr, merkte aber nun deutlich, wie viel Stärkebewusstsein sie gerade aus dieser Zwangssituation bezogen hatte. Aus
diesem Bewusstsein schöpfte sie auch Zuversicht, die aktuelle berufliche Situation meistern zu können.
Bei Trainings, die zur Erweiterung des Handlungsrepertoires dienen sollen, wäre es geradezu absurd, wenn Berater nicht aktiv
intervenierten; denn hier geht es ja regelmäßig
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