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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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erinnert sich daran, was Diaghilew über sie gesagt hat, aber sie überzeugt ihn. Ihre Argumente klingen vernünftig. Er hört ihr aufmerksam zu. Nicht nur, was sie sagt, fasziniert ihn, sondern vor allem die Art, wie sie es sagt. Dieser breite Mund, die nuancierten Gesten, die dunkle Süße ihrer Augen.
    In ihren Entwürfen strebe sie eine neue Schlichtheit an, doziert
sie. Schmucklose, klare Linien, ein männlicherer Schnitt. Sie frage sich, warum alle bequemen Kleidungsstücke für Männer bestimmt seien. »Ist es nicht an der Zeit, dass Frauen Kleider tragen, die andere Frauen für sie entwerfen, statt dass man sie weiterhin wie Ostereier ausstaffiert?« Frauen sind kein Schmuck, argumentiert sie, sie sind menschliche Wesen. »Sie brauchen Bewegungsfreiheit, und im Moment heißt das, alles muss reduziert werden. Diese ganzen überflüssigen Verzierungen müssen verschwinden, damit die Kleider endlich wieder dem Körper einer Frau entsprechen. Ist das denn so schwer nachzuvollziehen?«
    Er bewundert ihre Leidenschaft. Eine Frau wie sie hat er noch nie zuvor kennengelernt. Sie ist unendlich feminin, aber gepaart mit einem ihm unbekanntem neuen Selbstvertrauen, einer neuen Unabhängigkeit. Das gefällt ihm, auch wenn es ihn ein wenig ängstigt. Ihre Sinnlichkeit ist fast schon aggressiv.
    Nachdem die Kinder sich an Fleisch und verschiedenen Käsesorten satt gegessen haben, dürfen sie aufstehen. Coco und Igor plaudern weiter über ihre Arbeit.
    »Ich beginne selten auf Papier«, sagt Igor. »Ich komponiere fast immer am Klavier. Ich muss die Musik berühren, ich muss fühlen, wie sie zwischen meinen Händen aufsteigt.«
    »Mir geht es genauso. Es fällt mir schwer, nach Skizzen zu arbeiten. Ich entwerfe viel lieber gleich am Modell. Und ich fange erst mit der Arbeit an, wenn ich das Material zur Hand habe. Als Erstes muss ich es drapieren, spüren, wie es sich anfühlt.«
    Dieses Bedürfnis nach unmittelbarem Kontakt in ihrer Arbeit bildet ein Band zwischen ihnen und bietet ihnen ein gemeinsames Thema. Ihre Begeisterung und Hingabe verbindet
sie, lässt sie einander verstehen. Einander verstehen, aber auch miteinander wetteifern.
    Igor trinkt fast eine ganze Flasche Burgunder, und auch Coco trinkt mehrere Gläser. Sie streiten darüber, wer von ihnen härter arbeitet. Igor macht geltend, dass er viel früher anfängt, während sie an manchen Tagen nicht vor Mittag aufsteht. Sie kontert, dass sie dafür bis zum frühen Abend arbeitet, während er oft schon im Laufe des Nachmittags aufhört. Eifrig bemühen sie sich beide, den anderen in der Zahl der Arbeitsstunden zu übertreffen.
    Während er trinkt, perlt ihre Stimme warm zu ihm herüber. Die Wirkung des Weins verbindet sich mit ihrem lebhaften Plaudern und versetzt ihn in einen leichten Rausch. Da kommt ihm plötzlich etwas in den Sinn, und wie auf ein inneres Stichwort hin kommt ihm der Satz auch gleich über die Lippen, ehe er sich dessen überhaupt bewusst ist.
    »Misia hat mir von Arthur Capel erzählt.« Er merkt sofort, dass er zu weit gegangen ist.
    Da ist ein Stocken in ihrer Stimme, als sie antwortet. »Hat sie das?« Sie wirkt wie betäubt, ungläubig. »Sie hat Ihnen tatsächlich von ihm erzählt?« Ihr Gesicht wird zur Maske, ihre Stimme klingt mit einem Mal gepresst. »Alle nannten ihn Boy .«
    »Sie müssen ihn geliebt haben.« Wieder ist er von sich selbst überrascht.
    Sie reißt sich zusammen. »Er hat mich betrogen.«
    »Ach?«
    Trotz der unverkennbaren Bitterkeit bleibt ihre Stimme ruhig. »Er hat eine englische Adlige geheiratet, ohne mir davon zu erzählen. Eine Engländerin. Eine mit besseren Referenzen«, fügt sie bissig hinzu. »Und dann ist er gestorben.« Als durchlebte sie ihren Schmerz noch einmal im Schnelldurchlauf,
wechselt ihre Stimmung innerhalb weniger Sekunden von Verzweiflung über Betäubung hin zu Zorn. Eine Träne glitzert in ihrem Augenwinkel.
    »Das tut mir leid.«
    »Ein Autounfall.« Ihre Augen verdunkeln sich, als seien sie in Schatten getaucht. »Er hatte es immer viel zu eilig.«
    Ihr Herz fällt durch die darauf folgende Stille. Sie spürt, wie der Wein in ihr schal wird. Etwas zerrt an ihren Mundwinkeln. Wie in Trance spricht sie unaufgefordert weiter: »Als er starb, habe ich mein Schlafzimmer schwarz streichen lassen, dazu schwarze Bettwäsche und schwarze Vorhänge. Ich wollte, dass die ganze Welt um ihn trauert.« Sie sieht mit versteinerter Miene zu ihm hinüber. »Neun Jahre lang war er mein Herzschlag, und

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