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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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mustert sie die Stickereien am Saum.
    »Oh«, ist das Einzige, was Jekaterina herausbringt. »Das ist bloß ein einfacher Bauernrock.« Einen Moment lang glaubt sie, Coco wolle sie auf den Arm nehmen, aber ihr Interesse scheint aufrichtig. »Ich habe ihn vor unserer Abreise in Sankt Petersburg gekauft.«
    »Er gefällt mir sehr«, wiederholt Coco. Sie nimmt den Rock vom Bügel und hält ihn sich vor den Körper.
    Jekaterina beobachtet, wie sie den Rock um die Taille ihres blauen Kleids drapiert. »Das freut mich«, sagt sie.
    Doch Coco hört ihr gar nicht zu, sie greift bereits ein weiteres Stück heraus. »Das hier ist auch ganz wundervoll«, sagt sie und hält eine lang gegürtete wollene Bluse mit Stickereien am Kragen und den Ärmelsäumen hoch.
    »Das ist eine Rubaschka «, sagt Jekaterina.
    »Eine Rubaschka «, wiederholt Coco, bemüht, das Wort richtig auszusprechen.

    Jetzt versteht Jekaterina, warum Coco so gerne minderwertige Stoffe wie Jersey verwendet: In Wahrheit wirbt sie damit für sich selbst. »Sie können sie sich ausleihen, wenn Sie mögen«, sagt sie.
    Das bringt Coco zurück in die Gegenwart. »Nein, nein. Ich wollte nicht …« Hastig hängt sie die Bluse zurück, stöbert aber trotzdem unbeirrt weiter im Schrank herum. Sie nimmt noch ein paar weitere Stücke heraus, hält sie hoch und entlockt Jekaterina zu jedem Kommentare, wann und wo sie sie gekauft und getragen hat.
    Schließlich treffen Cocos Hände weit hinten im Schrank auf knisterndes Seidenpapier. Sie zieht den Bügel über die Stange heran, bis sie ihn herauszerren kann. Jekaterina sagt kein Wort. Aufgeschreckt taumelt eine Motte aus dem Schrank. Lächelnd hält Coco den Bügel hoch. Unter undurchsichtigen Schichten Papier zeichnet sich ein langes Kleid ab.
    »Was haben wir denn hier?«, fragt sie neugierig. Sie schält das Papier ab, bis die letzten verdorrten Lagen die steife weiße Seide freigeben. Coco hebt das Kleid an. Als sie erkennt, worum es sich handelt, hält sie in der Bewegung inne. Natürlich, ein Brautkleid. Sie wird blass.
    »Ich habe es seit Jahren nicht mehr angeschaut«, sagt Jekaterina.
    Der Anblick des Kleids hat Coco die Sprache verschlagen. Es scheint, als habe sie etwas aus dem Schrank hervorgezaubert, das gar nicht dorthin gehört.
    »Sie haben nie geheiratet?«, fragt Jekaterina ruhig.
    Eine Vision bräutlichen Weißes entsteht vor Cocos Augen, weiß wie ein Schrei. Die Macht, die sie gewonnen hat, verfliegt innerhalb eines Augenblicks. Siebenunddreißig Jahre alt, unverheiratet und kinderlos. Sie weiß, dass es wie ein Scheitern aussehen muss. Sie bekämpft den Drang, sich zu
rechtfertigen, zu erklären. Dann verhärtet sich etwas in ihr. Die Wahrheit ist, dass Männer seit Boy für sie entbehrlich sind. Als sie Jekaterina jetzt anschaut, erkennt sie ihre sanfte Loyalität, die Schwäche einer Ehefrau.
    »Nein«, sagt sie, und es klingt herablassender, als sie beabsichtigt hatte. Hastig streift sie das Papier wieder über das Kleid und hängt es zurück in die Tiefen des Schranks. Dann schiebt sie den Bügel zurück über die Stange und schließt die walnussbraunen Türen. Eine der Jacken verfängt sich im Spalt. Sie muss sie zurückschieben und die Tür noch einmal schließen. Die Verzögerung ärgert sie.
    »Wenn Sie den Rock einmal ausleihen wollen, sagen Sie es nur«, wiederholt Jekaterina. Sie spürt Cocos Unbehagen und bemüht sich, ihren Besuch mit einer positiven Note enden zu lassen. Vorübergehend milde gestimmt, glaubt sie, Coco sei über ihre eigene Taktlosigkeit erschrocken, das Brautkleid angefasst zu haben.
    »Was?«, fragt Coco, in Gedanken anderswo. Langsam sickern die Worte in ihr Bewusstsein. »Nein. Nein, danke.« Verwirrt von der Intensität ihrer Reaktion, lässt sie sich auf ihren Stuhl zurücksinken. Doch gleich darauf steht sie auch schon wieder auf. Ihr Blick verhärtet sich. »Wie spät ist es?«
    Jekaterina sieht auf die Uhr auf ihrem Nachttisch und will schon antworten. Aber bevor sie auch nur ansetzen kann, erklärt Coco, dass sie gehen müsse. Auf sie warteten dringende geschäftliche Angelegenheiten, um die sie sich unverzüglich kümmern müsse.
    »Dann danke ich Ihnen für Ihren Besuch«, sagt Jekaterina. Ihr Tonfall ist höflich, aber in ihrer Stimme schwingt auch die wachsende Angst davor mit, dass Coco und Igor einander noch näher kommen könnten, während sie ans Bett gefesselt
ist. Sie fühlt sich bedroht durch die Vitalität, die zielstrebige Energie und die Stärke

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