Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
Vom Netzwerk:
einen verschwommenen Fleck neben der Tür. Einen Moment glaubt er, jemand komme herein. Furcht erfasst ihn. Sein Herz rast. Er hat das Gefühl, sein Bild pralle vom Spiegel ab und brenne Löcher in die Wand. Aber der Moment geht vorbei; alles bleibt still. Langsam erholt sich sein Blut. Eine Stimme in seinem Innern schreit ihn an, das Zimmer zu verlassen, doch der fast schon kriminelle Drang, zu bleiben und weiter herumzustöbern, behält die Oberhand.
    Er späht durch die Tür zu Cocos Badezimmer. Neugierig geht er hinein. Sofort hört er die veränderte Tonhöhe, als seine Schuhe vom Teppich auf die kalten, harten Fliesen treten. Ein Mollklang. Eine kleine Terz.
    Die Becken glänzen so weiß, dass es fast in seinen Augen schmerzt. Das ist die Wanne, in der sie liegen muss, denkt er, und das sind die Wasserhähne, die sie immer berührt. Er stellt sich vor, wie sie rosig und selbstvergessen aus dem Wasser aufsteigt, das Kinn gereckt wie auf einem Werbeplakat, Arme und Beine ölig glänzend, die Brüste strahlend wie
paradiesische Blumen. Ein Schauer des Verlangens durchläuft ihn. Seine Handflächen werden feucht. Da steigt ihm ein pudriger Duft in die Nase, und er dreht sich um.
    Über dem Waschbecken sieht er mehrere Ablagen mit Kölnisch Wasser und Gewürzen, duftenden Salben und wohlriechenden Seifen, Badeölen und Schminktöpfchen, Haarwaschmitteln und parfümierten Lotionen. Selten hat er eine solche Fülle dieser Dinge gesehen, und noch nie waren sie so kunstvoll angeordnet. Es erinnert ihn an einen märchenhaften arabischen Laden.
    Er nimmt einen Parfümzerstäuber in die Hand und atmet den Duft in tiefen Zügen ein. Plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Und mit einer Erregung, die ihm verboten erscheint, öffnet er zwei Knöpfe seines Hemds und tupft sich die Flüssigkeit versuchsweise auf die Brust.
    Wie ausnehmend wohl er sich hier in Garches fühlt! Er scheint leichter atmen zu können. Vielleicht liegt es am Klima, an der offenen Landschaft, aber da ist vor allem Cocos besondere Aura. Die Luft wird reicher in der Heiterkeit, die sie ausstrahlt. Er hat neue Sauerstoffreserven in sich entdeckt, eine neue Energie, die ihm die Gewissheit gibt, am Leben zu sein, und er weiß genau, dass er das Coco zu verdanken hat.
    Während er verstohlen in sein Arbeitszimmer zurückkehrt, schnuppert er an seinem Handgelenk, wo ein Gewirr von Adern direkt unter der Haut verläuft. Er riecht das Echo des Parfüms an seinen Fingern. Dann stiehlt er sich mit wohliger Trägheit zurück in seine Musik und den Nachmittag.
     
    Abends gehen Coco und Adrienne zu Fuß das kurze Stück zu einem Restaurant. Bald stößt auch ihre Freundin Misia Sert zu ihnen.

    »Ich möchte heute Abend nicht allzu spät ins Bett«, verkündet Coco. »Ich habe morgen noch einiges zu erledigen, und ich will zurück in Garches sein, ehe es dunkel wird.«
    »Das sind ja ganz neue Sitten«, bemerkt Adrienne.
    »Normalerweise stehst du spät auf und arbeitest bis spät in den Abend«, ergänzt Misia.
    »Kann ich meine Arbeitsgewohnheiten nicht einmal für einen Tag ändern?«
    »Du brauchst nicht gleich so gereizt zu reagieren«, sagt Misia und zwinkert Adrienne zu.
    Coco findet das gar nicht komisch. Das sehen sie beide. Adrienne versucht, ihr gut zuzureden, und versichert ihr, dass sich in Garches um alles gekümmert wird, aber Coco wirft ihr einen entschlossenen Blick zu. Sie will keine Widerrede hören. Adrienne gibt nach. In einer stummen Geste der Kapitulation klopft sie die Asche von ihrer Zigarette.
    Beim Essen isst Coco weniger als gewöhnlich und trinkt dafür mehr. Sie beobachtet die Kellnerinnen, die wie untergeordnete Engel vorbeischweben. »Warum können meine Mädchen nicht so arbeiten?«
    »Ach, komm schon. Was ist denn los?«
    Nach mehreren Gläsern Wein gibt Coco auf Adriennes Drängen hin zu, dass sie sich zu Igor hingezogen fühlt. »Aber er ist verheiratet«, klagt sie.
    »Na und?«, entgegnet Misia. »Ich bin zum dritten Mal verheiratet. Das braucht kein Hindernis zu sein, glaub mir.«
    Coco hat Misia oft genug verzweifelt erlebt, um zu wissen, dass ihre vermeintliche Unbekümmertheit hart erkämpft ist. »Er hat vier Kinder, Herrgott noch mal!«
    »Dann hat Madame auch genug um die Ohren, nicht wahr?«, sagt Adrienne.
    Coco fragt sich, warum sie sich überhaupt von ihm angezogen
fühlt. Er ist nicht gerade ein schöner Mann und ganz bestimmt nicht wohlhabend. Dafür ist er verheiratet und hat vier Kinder. Sie hingegen weiß, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher