Coco Chanel & Igor Strawinsky
willst.«
»Es gibt Grenzen.«
»Wer sagt das?«
»Ich«, entgegnet sie mit Nachdruck.
»Manchmal würde ich am liebsten einfach in ein Hotel gehen und den erstbesten Mann, der mir über den Weg läuft, auffordern, mit mir zu schlafen.«
»Hast du José davon erzählt?«
»Glaubst du etwa, ich erzähle ihm alles?«
»Solltest du das nicht?«
»Eines lernt man mit der Zeit, Coco - Frauen wünschen sich die große Leidenschaft, aber alles, was Männer fühlen, ist ein bisschen Lust.«
Sie schweigen.
»Glaub mir«, fährt Misia fort, »ein Doppelbett kann furchtbar schmal sein, wenn man es mit jemandem teilt, den man nicht liebt.«
Ehe Coco ins Bett geht, schließt sie den Klavierdeckel genauso feierlich, wie sie den Telefonhörer zurück auf die Gabel gelegt hat. Nacheinander schaltet sie alle Lichter aus und zieht das Fenster zu.
Kapitel 9
DER FAHRER POLIERT Cocos neuen Rolls-Royce. Seit über einer Stunde wartet er darauf, dass sie aus dem Haus kommt. Als sie endlich auftaucht, wirft sie einen Blick auf ihre neueste Anschaffung. Sie mag die geraden Linien, die schlichte Anordnung von Rechtecken, und sie mag die Farbe: Schwarz.
Um den Wagen herum krümmt sich heiße Luft. Das dunkle Metall glänzt, der Motor brummt kraftvoll. Als sie die Tür öffnet, schlägt ihr die im Wageninneren eingeschlossene Hitze entgegen. Sie nimmt ihren Hut ab und fächelt sich frische Luft zu. Kribbelnder Schweiß überzieht ihre Haut.
Der Verkehr in der Hauptstadt ist dicht und laut. Die Straßen sind voller Menschen, aufgewirbelter Staub hängt in der Luft. Coco lächelt. Es tut gut, wieder zurück zu sein, denkt sie. Die Weite in ihrem Innern verlangt nach der Größe der Stadt. Hier gehört sie her.
Sie setzt den Hut wieder auf, als der Wagen vor ihrem Salon in der Rue Cambon anhält - einer schmalen, aber wohlhabenden Straße auf der Rückseite des Hotel Ritz. In großen schwarzen Lettern prangt der Name CHANEL über dem Eingang zur Nummer 31.
Sie wirft einen flüchtigen Blick auf die Kleider, die im Schaufenster ausgestellt sind: ein ärmelloses Abendkleid, eine graue, pelzbesetzte Seidenjacke und Wollpullover mit breiten Taschen. Eine Brosche an einem der Pullover funkelt im Licht.
Obwohl sie zu Hause viel gearbeitet hat, war sie schon seit über einer Woche nicht mehr in ihrem Geschäft. Normalerweise kündigt sie ihre Besuche telegrafisch an. Diesmal jedoch kommt sie unangemeldet, und das sorgt für eine gewisse Unruhe und nervöse Hektik unter den Mädchen. Sie hat von Adrienne gehört, dass sie eine Lohnerhöhung fordern. Gott! Kaum dreht sie ihnen den Rücken zu, gibt es Ärger. Undankbare Biester! Warum sollte sie ihnen mehr bezahlen? Ist ihnen nicht klar, dass die Arbeit bei Chanel ihnen ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, reiche Liebhaber kennenzulernen? Sehen sie nicht, dass es einigen von ihnen sogar einen Ehemann bescheren könnte? Was wollen sie denn noch?
Nur Adrienne freut sich aufrichtig, sie zu sehen. Obwohl sie fast gleich alt ist wie Coco und oft für ihre Schwester gehalten wird, ist sie in Wahrheit ihre Tante. Seit zwanzig Jahren unterstützen sie sich in gegenseitiger Loyalität. Adrienne ist die Matronenhaftere, Prüdere von beiden. Coco war immer schon die Anführerin. Zusammen steigen sie die weiße Wendeltreppe hinauf, die zur Wohnung im zweiten Stock führt. Coco lächelt zufrieden, als sie die venezianischen Spiegel und die Kronleuchter aus Rauchquarz, die weißen Blumen und die Satinvorhänge ihres Zuhauses wiedersieht. Sie nimmt eine der hölzernen Tierfiguren vom Tisch und prüft, ob sie staubig ist. Sie ist makellos sauber.
Sie zieht ihren Lippenstift nach und beißt auf ein Taschentuch, wo sie einen roten Kussmund zurücklässt. Adrienne fragt sie nach den vergangenen beiden Wochen. Aber Coco ist seltsam verschlossen, was das Leben in Bel Respiro angeht, und vor allem vermeidet sie es, über Strawinsky zu reden.
»Er ist kalt wie ein Fisch«, bemerkt sie nur. Ihre rechte Hand umfasst ihr Kinn. Sie verhakt den kleinen Finger in
ihrem Mundwinkel und knabbert mit den Schneidezähnen an ihrem Nagel herum.
»Aber immerhin ein großer Fisch.«
Coco sieht Adrienne vorwurfsvoll an und ignoriert ihre Andeutung, dass sie darauf aus sein könnte, ihn sich zu angeln. Ihre Züge werden sanfter. »Eigentlich ist er ja eher klein«, sagt sie mit einem ansteckenden Lächeln. Beide lachen.
Sie kann es sich nicht verkneifen zu bemerken, wie schwierig Madame Strawinsky doch ist, und schildert
Weitere Kostenlose Bücher