Coco Chanel & Igor Strawinsky
etwas anderes bringen?«
Jekaterina richtet sich auf. »Nein, aber verraten Sie mir«, sie trinkt einen Schluck Wasser, »wie lange arbeiten Sie schon für Mademoiselle Chanel?«
»Fast drei Jahre, Madame.« Sittsam verschränkt Marie die Hände vor dem Bauch.
»Und halten Sie sie für eine gute Arbeitgeberin?«, fragt sie lauernd.
»Wie meinen Sie das, Madame?«
»Nun, ist sie ehrlich und gerade heraus?« Jekaterina spürt, dass Marie zögert. Sie lacht und hofft, sie dadurch aus der Reserve zu locken. »Keine Angst, ich bin keine ihrer Spioninnen.«
»Sie war gut zu uns, ja.« Sie weicht auf festeren Boden aus. »Und Suzanne mag sie sehr.«
»Sie kann sehr großzügig sein, ich weiß.«
»Ja.«
»Es ist eine wahre Schande, dass sie keine eigenen Kinder hat, finden Sie nicht?«
»Ja. Das stimmt.«
»Sie ist eine moderne Frau.«
Marie wird misstrauisch. »Modern, ja.«
»Ich meine, Sie wissen schon, unabhängig.«
»Sehr.«
Jekaterina merkt, dass sie so nicht weiterkommt. Sie beschließt, direkter zu werden. »Manchmal frage ich mich jedoch …« Sie nimmt ihren ganzen Mut zusammen, um den Satz zu Ende zu bringen. »Manchmal frage ich mich, wie es um ihre Moral bestellt ist.« So, sie hat es ausgesprochen. Der Gedanke ist heraus.
Maries Hände brennen, als hielte sie einen heißen Backstein. »Verzeihung, Madame?« Sie erkennt, worauf diese Unterhaltung abzielt, und fühlt sich sehr unbehaglich.
»Na ja, wie steht es darum? Ist sie ein moralischer Mensch?«, fragt Jekaterina verlegen.
Marie hat das Gefühl, als öffnete sich ein Abgrund unter ihren Füßen und wilde Kreaturen griffen nach ihren Knöcheln. »Na ja, Madame, das hängt davon ab.« Die Wörter kommen langsam, von vorsichtigen Pausen unterbrochen.
»Hängt wovon ab?«
»Die Vorstellungen haben sich seit dem Krieg geändert …«
»Tatsächlich?«
Marie verschränkt die Finger ineinander. Sie will keinen Ärger bekommen. Sie fühlt eine Last auf ihrer Brust. »Ich weiß nicht genau, was Sie von mir hören wollen, Madame.« Sie beschließt, auf Zeit zu spielen.
Jekaterinas Augen sind ein einziges Flehen. »Ich will, dass Sie mir die Wahrheit sagen.« Plötzlich ist jede gesellschaftliche Kluft zwischen ihnen verschwunden. Sie richtet ihren Hilferuf an Marie von Frau zu Frau.
Am liebsten würde Marie mit allem herausplatzen, was sie weiß. Der Drang, zu gestehen, ist stark. Er zerrt an ihrem
Kiefer wie eine unsichtbare Schnur. Aber die Verschwiegenheit, die ihre Arbeit erfordert, ist stärker als jeder schwesterliche Instinkt. Die Antwort, die über ihre Lippen kommt, als spräche eine andere an ihrer Stelle, ist routiniert, diplomatisch und grausam neutral.
»Mademoiselle Chanel hatte ihr Päckchen Leid zu tragen, Madame …«
Für Jekaterina ist diese nichtssagende Antwort eine Qual. »Und wohl auch ihr Päckchen Glück.«
Marie bleibt misstrauisch. »Das stimmt.«
»Sie ist sehr reich.«
»Ich glaube schon.«
»Und mächtig.«
»Ja.«
»Nicht so wie ich?«
Marie windet sich unter dem anhaltenden Druck des Verhörs. Die Kreaturen aus dem Abgrund zerren inzwischen an ihren Beinen. Eines ihrer Knie fühlt sich an, als werde es gleich nachgeben. Sie beißt sich auf die Unterlippe und kapituliert. »Ich bin nur das Dienstmädchen, Madame. Ich bin nicht in der Lage, solche Fragen zu beantworten.«
Unzufrieden mit Maries ausweichenden Antworten und darauf bedacht, den Abstand zwischen ihnen wiederherzustellen, fällt Jekaterina in einen neuen, fast schon herablassenden Ton. »Nein, natürlich sind Sie das nicht. Es tut mir leid.«
»Wünschen Sie sonst noch etwas, Madame?«, fragt Marie nach einer Pause.
»Was? Nein. Sie können jetzt gehen«, antwortet Jekaterina abwesend.
Marie verlässt das Zimmer und atmet freier, sobald sie die Schwelle hinter sich gelassen hat. Ihre Hände zittern, ihr Rücken ist schweißnass. Doch trotz aller Erleichterung darüber,
dass die Tortur ein Ende hat, ist sie gleichzeitig bekümmert. Sie ist zur Mitverschwörerin geworden, zu einem weiteren undurchsichtigen Teil des Verrats. Sie hatte die Gelegenheit, die Wahrheit zu sagen, und hat sie nicht genutzt. In ihr brennt das Wissen, dass sie sich selbst und Jekaterina enttäuscht hat.
Jekaterina schämt sich unterdessen. Sie schließt die Augen und kann nicht glauben, dass sie es gewagt hat, sich so sehr zu demütigen. Was hat sie denn erwartet? Natürlich war Marie loyal: Sie würde niemals etwas gegen ihre Arbeitgeberin sagen. Ihr Schweigen
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