Coco Chanel & Igor Strawinsky
mischt sie hinter seinem Rücken. Dann hält er seinem Sohn seine beiden geschlossenen Fäuste hin.
»Weiß.«
Der Junge kniet aufmerksam über dem Schachbrett, sodass sein Kinn dabei fast die Figuren berührt. Igor lehnt sich in seinem Stuhl zurück und zündet sich eine Zigarette an.
Nachdem Théodore und die Mädchen Soulima vergeblich im ganzen Haus gesucht haben, stöbern sie ihn schließlich im Arbeitszimmer ihres Vaters auf. In Windeseile scharen sich alle eifersüchtig um das Schachbrett.
»Darf ich auch spielen?«
»Darf ich ?«
Igor bläst den Rauch in die Luft und stöhnt. »Schon gut, schon gut! Aber nicht im Arbeitszimmer! Ihr wisst, dass ihr eigentlich gar nicht hier sein solltet. Hier ist nicht genug Platz für euch.«
Er wird dieses Eindringen in sein Arbeitsreich nicht dulden. Außerdem fürchtet er, dass sie ihn eines Tages stören könnten, wenn Coco bei ihm ist. Wie ein grellrosa Blitz schießt ihm diese Vorstellung durch den Kopf und lässt ihn zusammenzucken. Ein Laut entfährt ihm, fast schon ein Stöhnen, sodass die Kinder sich umdrehen und ihn anschauen. Er überspielt es durch ein Räuspern und nimmt das als Stichwort, um sie hinauszuscheuchen. Sie ziehen ins Wohnzimmer um.
»Und wenn ihr alle gegen mich gespielt habt, müsst ihr auch gegeneinander spielen«, verlangt Igor. Sie sind einverstanden.
Igor gewinnt gegen Soulima. Der dumme Knopf erweist sich als sein Untergang, indem er sich bis zum Ende des Spielfelds durchschlängelt. Und auch die restlichen Partien gewinnt Igor mühelos. Aber das Turnier zwischen den Kindern dauert bis in den frühen Abend.
Jekaterina kommt nach unten und gesellt sich zu ihrer Familie. Zwar trägt sie immer noch ihren Morgenmantel und
sieht erschöpft aus, aber sie ist glücklich, ihre Kinder so zufrieden zu sehen. Gleichzeitig erfüllt sie die Leichtigkeit, mit der Igor das geschafft hat, mit leisem Groll. Immer muss es nach seinen Bedingungen laufen, immer so, wie es ihm passt. Und jetzt thront er da wie ein Gott in seinem Sessel.
Als die Kinder gegen neun Uhr ins Bett gehen, streiten sie immer noch über die Bedeutung ihrer Triumphe und Niederlagen. In der nachfolgenden Stille sitzen Igor und Jekaterina beisammen. Igor stürzt einen Wodka hinunter.
»Wie fühlst du dich?«
»Grauenvoll.«
Er fasst ihre Antwort als Reflex auf und zieht es vor, nicht näher darauf einzugehen. »Die Kinder hatten heute Abend großen Spaß.«
»Wirklich?«
»Glaubst du nicht?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Es kommt mir so vor, als würde ich dich kaum kennen.«
»Du hast wieder mal eine deiner Launen.« Er beugt sich vor und nimmt eine Schachfigur in die Hand. Ruhelos spielen seine Finger damit herum.
»Habe ich denn nicht auch allen Grund dazu?«
»Das habe ich nicht zu entscheiden.«
»Das hast du nie, nicht wahr?«
Sie zieht den Morgenmantel enger um ihre Beine. Jetzt erst fällt ihm auf, wie dünn seine Frau geworden ist. Sie hat so stark abgenommen, dass ihr der Ehering ständig vom Finger rutscht und enger gemacht werden müsste.
»Lass uns von hier weggehen, Igor«, bittet sie ihn.
»Was?«
»Lass uns irgendwo anders hinziehen und noch einmal von vorn anfangen.«
»Wohin denn?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ans Meer.«
»Das geht nicht.« Er spielt immer noch mit der Schachfigur in seiner Hand und zupft an dem grünen Filz unter ihrem Fuß.
»Warum nicht?«
»Ich komme hier mit meiner Arbeit gut voran.«
»Du hast mir schon seit Wochen nichts Neues mehr gezeigt.«
»Ich habe noch nichts fertig. Aber ich habe mehr Ideen als je zuvor.«
»Ich bin hier nicht glücklich.«
»Aber ich schon.«
»Das ist sehr egoistisch von dir.«
»Dann tut es mir leid.«
»Wirklich?«
In seinem Blick spiegelt sich keine Reue. Sie führen diese Auseinandersetzung nicht zum ersten Mal.
»Dein Talent entbindet dich nicht davon, dich anständig zu verhalten.«
»Ohne mein Talent, wie du es nennst, säßen wir immer noch in Russland.«
»Wäre das so schlimm?«
»Wenn es Anstand ist, worauf es dir ankommt, dann ja. Es wäre sogar sehr schlimm.«
Eine Falte ihres Morgenmantels rutscht zur Seite, sodass ihr Knie einen Moment hervorlugt. Der flüchtige Blick auf ihr Bein ist rasch dahin, als sie den Morgenmantel wieder enger zieht. »Wenigstens wären wir bei unseren Freunden.«
»Wir wären vollkommen mittellos.«
»Das sind wir doch jetzt auch.«
»Der Aufenthalt hier ist eine gute Gelegenheit für uns, etwas zu sparen.«
»Ich
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