Coco Chanel & Igor Strawinsky
sie sich aufrichtet, nimmt er sie in die Arme. Sie küssen sich, und wieder spürt er die wohlige Wärme, die ihn jedes Mal durchströmt, wenn sie in seiner Nähe ist. Ihre Hände, die locker an ihrer Seite herabhängen, finden die seinen.
»Jekaterina will weg von hier«, sagt Igor nach einer Weile ernst.
Beunruhigt sieht Coco zu ihm auf. »Wirklich?«
»Ja.«
»Hat sie das gesagt?«
»Ja.«
»Wann?«
»Gestern.«
»Warum?«
»Was glaubst du wohl, warum? Weil sie hier unglücklich ist.«
»Was hat sie sonst noch gesagt?«
»Nichts.« Er sieht sich selbst mit der Schachfigur spielen, während draußen der Mond am Himmel steht.
»Hat sie etwas über mich gesagt?«
»Nicht direkt.«
»Weiß sie Bescheid?«
»Ich glaube nicht; nicht sicher jedenfalls.«
»Und was hast du jetzt vor?«, fragt Coco nach einer Pause.
»Ich gehe nicht weg, wenn du das meinst.«
»Bist du dir sicher?«
Bisher war er es nicht, aber jetzt ist er sich sicher. »Ich könnte nicht weggehen.« Ihm wird bewusst, dass sein Leben mit ihr so erfüllt, so komplett ist, wie er es nie zuvor erlebt hat.
»Gut.« Vertrauen und Verletzlichkeit spiegeln sich in ihrem Blick.
»Gut«, wiederholt er lächelnd. Immer noch findet er die Vorstellung von Ehebruch seltsam. Das Wort ist zu streng, zu unversöhnlich für diese Liebe, die ihn überkommen hat. Ehebruch ist das, was andere Leute tun. »Ich gehe nirgendwohin«, sagt er. Seine Züge werden weich. »Ich brauche dich.« Nach einer Pause fügt er hinzu: »Das heißt, wenn du mich immer noch willst?«
»Das will ich, unbedingt.« Sie kneift nachdrücklich die Augen zusammen.
In der darauf folgenden Stille schmiegt sich Coco wieder enger an ihn. Sie riecht das Parfüm, wo es auf seine Haut gelaufen ist. Er spürt das Brennen, und der süße Duft entfaltet seine Wirkung. Sie flüstert seinen Namen. Und als er ihn zwischen ihren Lippen hervorkommen hört, hat er das Gefühl, sie ganz und gar zu besitzen. Wieder küssen sie sich. Langsam geben sie ihrem Verlangen nach.
Coco sitzt allein in ihrem Arbeitszimmer und zeichnet einen Würfel. Mit energischen Strichen fügt sie einen kurzen Hals
und einen länglichen Stopfen hinzu. Am Boden wölbt sich eine Delle - die einzige geschwungene Linie inmitten all der Geraden in ihrem Entwurf. Dann schreibt sie ihren Namen in großen schwarzen Druckbuchstaben auf einen weißen Hintergrund. Sie legt den Kopf auf die Seite und saugt am Ende ihres Bleistifts. Sie will etwas Schlichtes, nichts Ausgefallenes. Einen einfachen viereckigen Flakon, schnörkellos, klar umrissen.
Sie verabscheut solche exotischen Namen wie »Dans la Nuit«, »Cœur en Folie« oder »La Fille du Roi de Chine«. Sie hält sie für affektiert und albern. Sie will etwas Kryptischeres, etwas, das einfach ist, aber gleichzeitig mysteriös. Etwas Starkes, vielleicht eine Zahl, ihre Lieblingszahl: fünf.
Es wird das erste Mal sein, dass eine Modeschöpferin ihren Namen auf den Flakon schreiben lässt. Und warum auch nicht? Sie hat ihn ja schließlich entworfen. Warum sollten die Leute nicht wissen, wer dafür verantwortlich ist? Das ist keine Arroganz, sondern lediglich ein Zeichen natürlichen Stolzes.
Die ersten Berichte von Kundinnen klingen vielversprechend. Beaux hatte recht: Sie mögen das Parfüm. Es ist diskret, und es hält einen ganzen Abend. Und, was genauso wichtig ist, auch ihre Ehemänner und Liebhaber scheinen es zu mögen. Wenn Männer diesen Geruch beim Liebesspiel gern in der Nase haben, so ihre Überlegung, dann ist sein Erfolg praktisch gesichert.
Ein paar Zimmer weiter zieht Igor eine Schallplatte aus ihrer Hülle. Auf dem Plattenteller wirkt sie etwas wellig. Das Licht krümmt sich auf ihrer unebenen Oberfläche. Er zieht das Grammofon auf und bringt den Tonarm in Position. Ein kratzendes skrrk entweicht aus dem Trichter, als er die Nadel absetzt. Er sieht zu, wie die Furchen zu einer dünnen, ununterbrochenen
Linie aus Musik zusammenlaufen. Der göttliche Franz Schubert. Beethovens Hammerklaviersonate . Ein Cembalokonzert von Bach. Während Igor Platte um Platte auflegt, spürt er, wie sein Innerstes sich entspannt.
Ein Stockwerk höher reicht Marie Jekaterina, die sich mit einem dankbaren Lächeln aufsetzt, ein Glas Wasser.
»Ich hoffe, die Musik hält Sie nicht vom Schlafen ab, Madame.«
»Ich habe genug geschlafen, dass es für ein Leben reicht, Marie.«
»Und ich hoffe, es geht Ihnen wieder besser.«
»Ja, ein wenig, danke.«
»Kann ich Ihnen noch
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