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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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sich eine neue, stumme Härte. Eine Empfindungslosigkeit, die über allen Kummer hinaus ist. Sie ist vorübergehend zu einem Geist geworden.
    Am Ende des Flurs wird klappernd das Mittagessen vorbereitet. Es kommt ihm eigenartig vor, die Kinder nicht zu hören. Seit sie in die Schule gehen, ist es so still im Haus.
    Igor denkt zurück an seine eigene Kindheit. An die langen Spaziergänge mit seinem Bruder in den Wäldern rings um Sankt Petersburg, an den hartnäckigen sommerlichen Morgendunst und an die Wolken von kleinen Mücken am Fluss. Obwohl seine Erinnerungen verschwommen sind, beschwören sie eine tiefe Melancholie herauf, und wieder einmal wird er sich schmerzlich seines Verlusts bewusst. Wie eine falsche Farbe reibt sich etwas in seinen Erinnerungen mit den Schattierungen seines Lebens hier. Die Spannung erzeugt ein lautes Geräusch in seinem Kopf. Und da ist es wieder - dieses Glühen. Er greift nach einem Stift und beginnt zu schreiben, noch eine letzte halbe Stunde Arbeit vor dem Mittagessen. Seine Hand schafft es nicht, mit seinem Kopf mitzuhalten, und er spürt, wie sich an seinem Finger eine Druckstelle bildet, weil der den Stift so fest umklammert hält.
     
    Nachmittags schlendern Coco und Igor durch den Garten. Die Kinder kommen erst in ein paar Stunden zurück.
    »Macht es dir eigentlich nichts aus, dass wir nicht Hand in Hand gehen?«, fragt sie.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ich dachte nur - wir gehen nie Hand in Hand.«
    »Macht es dir etwas aus?«

    »Ich weiß es nicht, es ist mir gerade erst aufgefallen.« Der Duft von frisch gemähtem Gras hängt in der Luft, eine pollengeschwängerte Last, die in ihrer Nase kitzelt und sie beinahe niesen lässt. »Vielleicht.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mögen würde.«
    »Warum nicht?«
    »Über dieses Stadium sind wir inzwischen hinaus.«
    »Niemand sollte über dieses Stadium hinaus sein.«
    »Ich meine, was uns verbindet, ist doch keine Kinderliebe. Sie ist reifer. Unsere Anziehung geht tiefer als die zwischen Eheleuten. Das spüre ich.«
    »Tiefer als die zwischen Cousin und Cousine?«
    Sie kommen an eine Biegung des Gartenweges. »Schon gut«, sagt er.
    »Es wäre wahrscheinlich unpassend, wenn deine Frau uns beim Händchenhalten erwischen würde …«
    »Damit hat es gar nichts zu tun.«
    »Ach, wirklich?«
    »Das ist doch absurd.«
    »Warum ist das absurd? Machst du dir keine Sorgen, dass sie es herausfinden könnte?«
    »Herausfinden? Was, wenn ich dir sage, dass sie es längst weiß?«
    Coco bleibt stehen. Verblüfft dreht sie sich zu ihm um. »Sie weiß es? Woher? Hast du es ihr erzählt?«
    Er weicht ihrem Blick aus. »Indirekt, ja.«
    »Warum?«
    Er spürt, dass sie ihn ansieht. »Warum nicht?«
    »Ich kann nicht glauben, dass du es ihr erzählt hast.«
    »Wem sollte ich denn sonst davon erzählen?«
    » Mir hast du jedenfalls nicht gesagt, dass du mit ihr darüber gesprochen hast.«

    »Du hast mich ja auch nicht gefragt, ehe du Misia von uns erzählt hast.«
    »Das ist kein Spiel, Igor.«
    Er erkennt, dass er etwas gutzumachen hat. »Wie kannst du daran zweifeln, dass ich dich liebe?«, fragt er eindringlich.
    Sie gehen weiter. »Ich wünschte nur, du wärst mir gegenüber ehrlicher, das ist alles.«
    »Ich vergöttere dich«, sagt er. »Das weißt du.«
    »Mhm.«
    Als wollte er seine Worte beweisen, küsst er sie in aller Öffentlichkeit auf den Nacken. Ihr Parfüm steigt ihm in die Nase. Er spürt das vertraute berauschende, schmerzhafte Sehnen, das seinen Körper schon den ganzen Sommer über erfüllt.
    Sie räumt ein, dass er in letzter Zeit aufmerksamer war. Er hat ihr ein paar Stücke auf dem Klavier beigebracht, hat ihr glühende Liebesbriefe geschrieben und ihr Zeichnungen von ihnen beiden geschenkt. Aber sie weiß auch, dass das gleichzeitig ein Versuch ist, die Kontrolle zu übernehmen. Und dagegen muss sie sich schützen. Sie will die Oberhand behalten.
    »Wie auch immer«, sagt sie, »es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss.«
    »Was denn?«
    »Etwas, das uns beide betrifft.«
    »Sag schon.«
    »Meine Monatsblutung ist eine Woche überfällig.«
    Sein Herz erstarrt. »Bist du dir sicher?«
    »Natürlich bin ich mir sicher.«
    »Ist das ungewöhnlich?«
    »Sonst kommt sie immer auf den Tag genau.«

    Sein nächster Schritt scheint nicht auf dem Boden zu landen, sondern immer weiter zu fallen.
    »Beunruhigt dich das?«
    »Sollte es?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Bei Jekaterina verspätet sie sich oft.«
    »Aber bei

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