Coco Chanel & Igor Strawinsky
sei doch schlimm genug, einen Ehemann zu verlieren, aber jetzt auch noch eine Tochter, das ertrage sie nicht!
Natürlich unternimmt Igor nichts. Was sollte er auch? Er kann Coco schlecht vorwerfen, dass sie sich mit seiner Tochter anfreundet und großzügig etwas Zeit mit ihr verbringt. Sie würde ihn auslachen. Außerdem fragt er sich, wie viel ihre neue enge Beziehung zu Ludmilla mit ihrer eigenen möglichen Schwangerschaft zu tun hat. Jeden Tag wartet er darauf, dass sie ihm sagt, es sei bloß falscher Alarm gewesen und es gebe keinen Anlass zur Sorge. Aber noch ist nichts passiert, und er wird von Tag zu Tag unruhiger. Als Jekaterina sich in dieser Situation darüber beschwert, dass alles sogar noch schlimmer geworden sei und Coco und Ludmilla
immer mehr Zeit miteinander verbrächten, verliert er die Beherrschung. »Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt«, faucht er sie an. »Es ist doch nichts dabei. So etwas ist vollkommen normal. Und außerdem«, fügt er ungehalten hinzu, »ist es doch nur gut, dass das Mädchen wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit bekommt.«
Diese verletzende Bemerkung schmerzt Jekaterina. Das hat sie nicht verdient. Der Zorn verleiht ihr neue Kraft. »Ich bin vielleicht krank, aber ich kümmere mich immer noch mehr um die Kinder als du«, erwidert sie.
Es ist ein wunder Punkt. Coco achtet darauf, sich nicht in diese neue Auseinandersetzung einzumischen. Ludmilla hingegen ahnt nichts von den widerstreitenden Strömungen der Zuneigung, die um sie herum Strudel bilden. Und während sich ihre Eltern weiter darüber streiten, mit wem sie mehr Zeit verbringt, wird ihre Beziehung zu Coco, zum großen Kummer ihrer Mutter, immer enger.
Eines Tages bleibt das Mädchen weinend in seinem Zimmer. Sie ist untröstlich. Als Jekaterina sie fragt, was mit ihr los sei, gibt sie keine Antwort. Sie weigert sich auch, mit ihrem Vater zu sprechen, und wirkt dabei seltsam beschämt. Den ganzen Morgen über verstummt ihr Schluchzen nicht. Erst Coco erzählt sie mittags von dem großen roten Fleck, der feucht und klebrig durch ihre Unterhose dringt und ihr neues Kleid ruiniert.
Sie hätte es Coco gar nicht zu sagen brauchen. Schon beim Betreten des Zimmers konnte sie es riechen.
Es ist Ludmillas erste Blutung, und sie reagiert ängstlich und verstört. Cocos Mund verzieht sich zu einem Lächeln. Ein mütterlicher Impuls regt sich in ihrer Brust. Sie gratuliert dem Mädchen dazu, dass es mit zwölfeinhalb Jahren zur Frau geworden ist, und reicht ihr schwesterlich die Hand. Sie
sieht, dass diese Geste Ludmilla wieder ein wenig mit ihrem Körper versöhnt.
Auch Cocos Blutung hat heute Morgen eingesetzt. So war es auch damals, als sie noch mit Adrienne zusammenwohnte. Eine Blutsschwesternschaft. Sie kommt sich albern vor, weil sie mit Igor gesprochen und ihn erschreckt hat. Sie hat sich zu keinem Zeitpunkt schwanger gefühlt , auch wenn sie sich möglicherweise ein paar verräterische Zeichen eingebildet hat. Zum Teil hat sie es ihm erzählt, um ihn aus seiner Selbstgefälligkeit zu reißen. Zum Teil aber auch aus der abergläubischen Hoffnung heraus, sie könne ihre Periode vielleicht herbeireden, indem sie ihre Ängste laut aussprach. Wem hätte sie sich auch sonst anvertrauen können? Wenn sie es einem anderen gegenüber erwähnt hätte, womöglich gegen Misia, dann hätte er sie umgebracht.
Sie ist erleichtert, dass die Angst jetzt ausgestanden ist. Sie ist nicht schwanger, und das war es doch, was sie wollte. Aber so einfach ist es nicht. Unter ihre Erleichterung mischt sich eine diffuse Enttäuschung. Ihr wird bewusst, dass sie angefangen hatte, anders aufzutreten: würdevoller, gelassener. Die Reaktionen ihres Körpers verraten ihr ihren geheimen Wunsch nach einem Kind. Und wann, wenn nicht jetzt? Sie weiß, dass ihr die Zeit davonläuft.
Ludmillas Miene hat sich aufgehellt. Coco streicht ihr eine Träne aus dem Gesicht und rät ihr, zu ihrer Mutter zu gehen und es ihr zu erzählen. »Sie wird stolz auf dich sein.«
Besorgt zieht Ludmilla die Unterlippe zur Seite. »Sie wird mich für schmutzig halten.«
»Nein.«
»Doch, wird sie.«
»Ganz bestimmt nicht, das verspreche ich dir. Sie wird denken, dass du allmählich erwachsen wirst.«
»Kannst du es ihr nicht erzählen?«
»Ich glaube nicht, dass das gut wäre«, entgegnet Coco lächelnd.
»Warum nicht?«
»Warum redest du nicht mit Suzanne darüber? Sie kann dir alles erklären.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Dieser Gedanke ist wie ein
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