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Coco Chanel & Igor Strawinsky

Titel: Coco Chanel & Igor Strawinsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Greenhalgh
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Felsvorsprung, an den sich das Mädchen klammert. Er scheint sie zu beruhigen. Sie schaut auf. »In Ordnung.«
    Sie berührt den dunklen Fleck auf ihrem Kleid. Sie lacht nervös. »Ich fühle mich komisch.«
    »Das ist ganz normal am Anfang. Das geht jedem so.«
    »Heißt das, ich kann jetzt Babys bekommen?«
    »Ja, genau.«
    »Bekommst du auch irgendwann ein Baby?«
    »Ich weiß es nicht. Irgendwann vielleicht.« Die Worte versengen ihre Kehle. Als sie heute Morgen auf das Toilettenpapier mit ihrem verspäteten Blut blickte, fühlte sie sich betrogen. In diesem dunklen Fleck sah sie den Beweis für ihr Scheitern: das Einzige, was sie nicht schaffen kann. Jetzt denkt sie an die Abtreibungen zurück. Zweimal war sie von früheren Liebhabern schwanger, beides Kavalleristen. Was haben diese Operationen in ihrem Inneren angerichtet? Sie auf diesen leeren, roten Fleck reduziert; diese namenlose Lücke, dieses Fehlen.
    »Mama mag Babys.«
    »Will sie denn noch mehr, was glaubst du?« Groll verschattet ihre Stimme. Wie kann Jekaterina bloß so mühelos fruchtbar sein und sie nicht? Vier Kinder. Es erscheint ihr nicht richtig, nicht fair.

    »Nicht mehr, seit sie bei Milena krank wurde.«
    Coco antwortet nicht.
    »Du findest also nicht, dass ich schmutzig bin?«, will Ludmilla nach kurzem Schweigen wissen.
    »Was mit dir passiert, ist vollkommen natürlich.«
    »Und du glaubst, ich sollte es Mama erzählen?«, fragt das Mädchen scheu.
    Coco lächelt. »Ja, ich denke, das wäre das Beste.«
    Ludmilla weiß nicht so recht, wie sie sich bewegen soll. Sie zuckt mit den Schultern. Ihr Körper scheint schwerer geworden zu sein. Es kommt ihr vor, als zöge etwas in ihrem Inneren.
    Coco beugt sich zu ihr hinüber, und sie umarmen sich verlegen. Sie klopft ihr auf den Rücken und legt ihr schließlich die Hände auf die Schultern. Ludmillas Augen werden wieder feucht. Coco legt beide Hände an die Wangen des Mädchens und wischt mit den Daumen ihre Tränen weg. »Du bist ein gutes Mädchen«, sagt Coco. »Und mach dir keine Sorgen wegen des Kleids. Wir können dir das gleiche noch einmal besorgen.«
     
    Von den Bäumen fallen zahllose gelbbraune Blätter. Ein kalter Oktoberwind kräuselt das Gras.
    Eines Sonntags quält sich Jekaterina morgens früh aus dem Bett und geht in die Kirche. Sie nimmt die Kinder mit und hält Ludmilla an der Hand. Auch Joseph, Marie und Suzanne begleiten sie. Igor hat zu viel Arbeit, behauptet er. Coco liegt noch im Bett.
    Kurz darauf zieht sich Igor zum zweiten Mal an diesem Morgen an. Er ist in Cocos Schlafzimmer. Sie wollten miteinander schlafen, aber es hat nicht geklappt. Es ist das erste Mal seit ihrer verspäteten Blutung, und Igors Gesicht glüht
vor Scham. »Es tut mir leid. Ich habe im Moment so viel anderes im Kopf.«
    »Das ist schon in Ordnung.«
    Ihr nachsichtiger Ton verärgert ihn. »Ich kann eben nicht auf Anweisung bereitstehen«, schimpft er.
    »Ich habe doch gesagt, es ist in Ordnung. Das macht nichts.« Aber die Wärme in ihrer Stimme klingt zweideutig.
    Sie war schockiert über seine erleichterte Reaktion, als sie ihm erzählte, dass sie nicht schwanger sei. Er glaubt wohl, er sei ein echtes Glückskind. Er wirkte sehr zufrieden mit sich und sagte, er habe dafür gebetet. Er sei sogar in die Kirche gegangen. Sie hat sich darüber geärgert. »Das macht nichts«, wiederholt sie.
    »Du gibst mir immer das Gefühl, ich müsste in einem Wettkampf bestehen.«
    »Einem Wettkampf? Mit wem?«
    »Mit dir.« Er kann sich gar nicht schnell genug anziehen und hantiert ungeschickt mit seinem Gürtel.
    »Mit mir?« Sie schreckt aus ihrer Schläfrigkeit hoch. »Ich verstehe.« Für einen Moment sammelt sich eine eigenartige Stille um das Bett. »Hast du Angst vor mir, Igor?«, fragt sie schließlich.
    »Natürlich nicht.«
    »Dann verstehe ich nicht, was du meinst.«
    »Beleidige mich nicht.«
    »Das wollte ich nicht.« Sie lässt sich wieder zurücksinken. Igor kämpft mit einem seiner Strümpfe. »Du willst immer alles unter Kontrolle haben.«
    »Ich versuche nur, glücklich zu sein, mehr nicht.«
    »Und ich tue mein Möglichstes, um dich glücklich zu machen .«
    »Das weiß ich«, antwortet sie, nicht völlig überzeugt. Sie
setzt sich hin, um aufrichtiger zu wirken. Er hat vor Kurzem davon gesprochen, ihr seine Bläser-Sinfonien zu widmen. Aber sie bezweifelt, dass er es tatsächlich tun wird. Für ihn wäre das eine zu leichtsinnige Geste.
    Mit einem Ruck zieht er seine Schnürsenkel fest.

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