Coco Chanel & Igor Strawinsky
Wäschekorb schwerfällig unter dem Arm haltend, dreht sie sich zu ihm um. »Ja, du.«
»Aber du verbringst viel mehr Zeit mit ihr. Du bist ihr Dienstmädchen …«
»Du bist besser in solchen Sachen.« Die weißen Laken flattern in eine Richtung.
»Die Situation ist nur so furchtbar angespannt. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, ich müsste auf Zehenspitzen herumlaufen.«
Suzanne und die anderen Kinder kommen heraus in den Garten. Heute ist Sonntag, deshalb sind sie nicht in der Schule. Sie rennen wild durcheinander, Théodore lässt einen Fußball springen. Von Weitem sieht man nur knochige Arme und leuchtende Schienbeine, eine unkoordinierte Prozession, die ihrer Umgebung keinerlei Beachtung schenkt.
»Mir tun bloß die Kinder leid«, sagt Joseph auf dem Weg zurück ins Haus.
»Weißt du, was Milena vor ein paar Tagen gefragt hat?«
»Was?«
Marie sieht sich kurz um und vergewissert sich, dass niemand sie hören kann. »›Wird Coco unsere neue Mama?‹, hat sie gefragt.«
»Und was hast du geantwortet?«
» Nein natürlich! Und dann hat sie noch gefragt, ob ihre Mama jemals wieder gesund wird.«
»Du meine Güte!«
»Sie ist sehr sensibel. Sie weint ständig. Jeder sieht, dass sie etwas bedrückt.«
»Wie traurig.«
»Ich glaube nicht, dass sie etwas ahnt.«
Wie als Antwort darauf wehen die ersten Klavierklänge aus dem Arbeitszimmer nach draußen. Die Töne fließen über den Rasen wie heruntergefallene Wäschestücke. Die Rhythmen sind holprig und synkopisch, voller Zorn, der sich aus ihrem Innern speist.
»Seine Musik ist auch nicht gerade beruhigend, findest du nicht?«, sagt Joseph, als sie wieder hinter der sicheren Küchentür sind.
»Ich bin mir sicher, sie macht ihnen Angst.«
Die Rufe der Gänse über dem Haus bilden einen harschen Kontrast zu den Klängen des Klaviers.
»Das würde mich nicht wundern«, sagt er. »Mir macht sie auch manchmal Angst.«
Jekaterina sitzt im Garten, eine gefaltete karierte Decke über die Beine gebreitet. Ein geschlossenes Buch liegt auf ihrem Schoß. Sie betrachtet einen Parfümflakon, den Mademoiselle Chanel ihr geschenkt hat. Vor ihr auf dem Rasen spielen die Kinder.
»Danke«, sagt Jekaterina und hebt den Flakon hoch, als sie Coco aus der Haustür kommen sieht.
Etwas verwundert, aber lächelnd, kommt Coco näher. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen.«
»Es ist bestimmt ganz bezaubernd.«
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
»Ja.« Jekaterina blickt auf einen fernen Punkt weit hinter Cocos Schulter.
Der Lärm der spielenden Kinder füllt das Schweigen zwischen ihnen. Jekaterina legt das Parfüm neben das Buch auf ihrem Schoß. Coco verlagert das Gewicht von einem Bein auf das andere.
»Was lesen Sie?«, fragt Coco.
»Schon gut. Sie brauchen mir nicht länger etwas vorzuspielen.«
»Wie bitte?«
Sie sieht sie immer noch nicht an. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich werde Ihnen keine Szene machen.«
Coco antwortet nicht.
Jekaterinas Miene hellt sich auf, als sei eine Lampe eingeschaltet worden. »Ich freue mich für ihn. Er braucht Ablenkung. Seine Arbeit frisst ihn sonst auf.«
»Du kriegst mich nicht!«, ruft Milena Soulima zu, der sie um die Blumenbeete jagt.
Die beiden Frauen sehen zu, wie die Kinder an ihnen vorbeirennen, und lächeln.
»Ich weiß, was Sie vorhaben«, sagt Coco, immer noch lächelnd.
»Glauben Sie ja nicht, dass ich mich dafür mag.«
»Ich habe das alles nicht geplant.«
»Passt auf die Blumen auf!«, ruft Jekaterina ihren Kindern zu, als sie an der Rasenkante entlanglaufen.
Coco sieht schweigend zu.
Während die Kinder wie entfesselt durch den Garten toben, kommt sich Jekaterina vor wie das stille Zentrum eines wirbelnden Kreises. Aber dieser Eindruck geht einher mit einer inneren Ruhe, ja einem seltsamen Gefühl von Macht, das sie schon lange nicht mehr verspürt hat. Jetzt wappnet sie sich, um Coco in die Augen zu sehen. »Ich bitte Sie nur um eines: Mischen Sie sich nicht in seine Musik ein«, sagt sie. »Sie bedeutet ihm alles.«
Es dauert eine Weile, ehe Coco darauf reagiert.
»Und Ihnen?«
»Er lässt das Licht an, wenn er schläft. Wussten Sie das?«
Coco schweigt.
»Er hat Angst im Dunkeln.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
Ihr Ton wird ernst. »Er kann nicht arbeiten, wenn um ihn herum Chaos herrscht.«
»Haben Sie Angst im Dunkeln?«, fragt Coco. Immer noch lächelnd richtet sie sich auf. »Oder ist es das Licht, das Sie nicht ertragen?«
Jekaterina muss beinahe lachen.
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