Coco Chanel & Igor Strawinsky
werde.«
Ihr scharfer Ton provoziert ihn. »Mach dich nicht lächerlich. Du siehst eine Kränkung, wo gar keine ist.«
»Dir wäre es ja offensichtlich lieber, wenn ich nicht mitkäme.«
»Das stimmt nicht.«
»Du willst immer noch nicht mit mir gesehen werden, stimmt’s?« Vor dem hellen Fenster schimmern ihre gekräuselten Haarspitzen wie ein Heiligenschein.
»Das ist doch absurd. Ich würde dich liebend gern mitnehmen. Ohne dich werde ich mich da zu Tode langweilen.«
»Du hast nichts dagegen, mich heimlich zu vögeln, aber in der Öffentlichkeit soll ich gefälligst immer mindestens zehn Meter Abstand halten, was?«
Igor ist schockiert über ihre Wortwahl, und ihre Lautstärke ist ihm peinlich. Sie scheint zu vergessen, dass Dienstboten in der Nähe sind und Jekaterina nur ein Stockwerk höher liegt. Ihre Züge, die er von Begehren verzerrt gesehen hat, verschließen sich. Ihre Augen und ihr Mund werden zu Löchern in einer glatten Maske.
»Ich sage es dir noch einmal«, wiederholt er betont ruhig, »du würdest dich bestimmt nur langweilen.«
»In Ordnung«, antwortet sie. »Wenn es so furchtbar langweilig ist, dann gehe ich davon aus, dass du auch nicht hingehen
willst.« Und zu seiner Verblüffung reißt sie ohne Vorwarnung die Einladung entzwei.
»Was machst du denn da?«, fragt er erschrocken.
Sie hört das reißende Geräusch des Kartons. Ihre Lippen verziehen sich vor Anstrengung. »So! Siehst du?«
»Ich kann nicht glauben, dass du das gerade getan hast.«
»Es war keine Kränkung beabsichtigt, also brauchst du auch nicht gekränkt zu sein«, erklärt sie hochmütig. Im Profil hebt sich ihr Kinn, als sei es von einem Schlag getroffen worden.
»Es wäre sehr unhöflich von mir, nicht hinzugehen.« Die Haut in seinem Gesicht spannt sich, sein Haaransatz verschiebt sich sichtlich nach hinten.
»Dann solltest du lieber anrufen und dich entschuldigen. Sag ihnen, deine Frau sei krank und du müssest dich um sie kümmern oder so etwas. Das sollte doch genügen«, sagt sie in kühlem, höflichem Ton.
Ihre Hände kribbeln. Als sie nach unten schaut, bemerkt sie überrascht Blut auf der Haut neben einem ihrer Nägel. Sie hat sich am Papier geschnitten. Auch auf der zerrissenen Karte sieht sie einen rostfarbenen Fleck. Der Anblick des Blutes scheint ihre Wut noch weiter anzufachen.
»Ihr ladet mich als Mäzenin zu euren Partys ein, wenn ihr euch dadurch ein Almosen erhofft. Aber wehe, ich möchte mitkommen, wenn du deine Freunde triffst. So ist es doch, oder etwa nicht?«
Seine Miene verfinstert sich. »Ich bettele nicht um Almosen.«
»Ach nein?«
Sein Ton wird hitziger. »Nein. Auch wenn es natürlich einige Leute geben soll, die Künstler unterstützen, um ihre eigenen gesellschaftlichen Ambitionen zu fördern.«
»Du undankbarer Mistkerl!«
Sie denkt an ihre Spende für die Wiederaufführung des Sacre . Sie weiß, dass sie das Geld anonym geschickt hat, aber vielleicht hat er es ja erraten. Sie ist sich sicher, dass Diaghilew ihm davon erzählt hat, aber ihr gegenüber hat er es noch nicht erwähnt.
»Tatsächlich ist das heutige Mäzenatentum pure Heuchelei«, fügt er erregt hinzu.
»Du kannst dich einfach nicht damit abfinden, dass ich eine Frau bin, stimmt’s?«, entgegnet sie angriffslustig. »Eine intelligente, erfolgreiche Frau und Künstlerin auf eine Weise, die du niemals verstehen wirst.«
»Eine Künstlerin?«, wiederholt er ungläubig.
»Ja, eine Künstlerin, die genauso hart arbeitet wie du, wenn nicht noch härter.«
»Wenn du mehr Zeit damit verbringen würdest, etwas zu schaffen, und weniger damit, es zu verkaufen, dann könnte ich dir vielleicht zustimmen.«
»Das nennt man Realität, Igor - etwas, gegen das du in deiner eigenen, kleinen Welt immun zu sein scheinst.«
»Du bist keine Künstlerin, Coco«, bricht es aus ihm heraus.
»Ach nein?«
Seine Stimme klingt verächtlich. »Du bist eine Verkäuferin!«
»Das brauche ich mir von dir nicht bieten zu lassen«, schreit sie und wendet sich zum Gehen. »Vergiss gefälligst nicht, wo du lebst, mein Lieber. Du könntest es bereuen.« Dann dreht sie sich auf dem Absatz um und verlässt das Zimmer.
Igor spürt den Luftzug, als sie die Tür hinter sich zuschlägt. Er sitzt immer noch mit übereinandergeschlagenen Beinen da, wenn auch etwas steifer als zuvor. Nachdenklich
legt er den Kopf auf die Seite. Sein Herz rast, er hasst es, wenn sie sich streiten. Aber sie hätte die Einladung nicht einfach zerreißen
Weitere Kostenlose Bücher