Coco Chanel & Igor Strawinsky
»Sie sind wirklich eine merkwürdige Person.«
Coco antwortet nicht.
»Und wissen Sie, was das Seltsame bei all dem ist?«
»Was?«
»Eigentlich mag ich Sie sogar.«
Coco nickt ernst. Sie akzeptiert das Kompliment, aber jede Spur eines Lächelns ist aus ihrem Gesicht verschwunden.
Spontan jagt Soulima Milena auf ihre Mutter zu, und als sie sie erreichen, schlingen sie liebevoll die Arme um ihren Hals. Jekaterina küsst ihre Finger und strahlt sie an. Ihre Kinder.
Langsam geht Coco davon.
Kapitel 25
LUDMILLA HAT IHR Hemd ausgezogen und beugt sich fröstelnd über das Becken, damit Coco ihr die Haare waschen kann. Sie spürt, wie das unterschiedlich temperierte Wasser - drei Viertel warm, ein Viertel kalt - in Bändern über ihre Kopfhaut läuft.
Anschließend leuchten ihre Wangen rosig, und ihre Augenlider glänzen, als sie unter einem Handtuch hervorlugt. Coco rubbelt noch ein letztes Mal spielerisch ihren Kopf, ehe sie einen Schildpattkamm durch ihr Haar zieht. »So«, sagt sie, »fertig.« Sie gibt dem Mädchen einen Riegel Schokolade. »Aber sag deiner Mutter nicht, dass ich dir den gegeben habe.«
»Warum nicht?«, fragt Ludmilla, während sie die Schokolade auswickelt.
»Vielleicht glaubt sie, Schokolade wäre nicht gut für dich.«
»Ist sie das nicht?«
»Nur, wenn man zu viel davon isst.«
»Ist das zu viel?«
»Nein.«
Zufrieden mit dieser Information, beißt Ludmilla noch einmal ab. Sie kaut energisch, mit dem gesamten Einsatz ihres jungen Kiefers. In ihren Mundwinkeln klebt Schokolade.
»Vergiss nicht, dir danach das Gesicht zu waschen.«
Ehe Coco noch etwas hinzufügen kann, fragt Ludmilla: »Magst du Mama?«
»Natürlich mag ich sie. Auch wenn ich sie nicht besonders gut kenne.«
»Warum ist sie immer krank?«
»Ich weiß es nicht.«
Schweigend denkt Ludmilla darüber nach, dann bricht sie ein weiteres Stück Schokolade ab. »Magst du Papa?«, fragt sie mit vollem Mund.
»Ja.«
»Lieber als Mama?«
Ludmillas schlichtes Französisch lässt sie kindlicher erscheinen, als sie ist, doch Coco entdeckt die Gerissenheit hinter den naiven Fragen. Darauf bedacht, nicht zu offen zu antworten, sagt sie: »Ich mag sie beide.«
»Aber du verbringst mehr Zeit mit Papa.«
»Das liegt daran, dass er zur gleichen Zeit auf den Beinen ist wie ich.«
»Mag Papa dich lieber oder Mama?«
»Deine Mama natürlich, Dummchen.« Wie furchtbar, denkt sie.
»Und mich magst du lieber als alle anderen?«
»Vermutlich schon. Aber es ist falsch, jemanden zu bevorzugen.« Sie legt dem Mädchen die Hände auf die Schultern. »Du darfst es den anderen nicht sagen«, flüstert sie und sieht ihr dabei direkt in die Augen. »Das ist unser Geheimnis.«
Ludmilla isst den letzten Bissen Schokolade und knüllt das Silberpapier zusammen. »Fertig!«
»Gut. Dann geh jetzt und wasch dir das Gesicht.«
Ludmilla rennt aus dem Zimmer. Ihr glattes, nasses Haar betont ihre knochige Gestalt. Coco greift nach einer Zigarette, und als sie sie anzündet, verengt sich ihr Mund zu einem Kreis. Sie spürt, wie die Anspannung, die die Fragen des Mädchens ausgelöst haben, von ihr abfällt. Ein Schleier legt sich über ihre Augen, als sie inhaliert.
Als sie ein paar Haare bemerkt, die an ihrem Kleid haften,
zupft sie sie ab und legt sie in einen Aschenbecher. Später drückt sie ihre Zigarette darauf aus. Sie beobachtet, wie die Haare kurz aufflammen und sich dann schwarz zusammenkräuseln.
Spontan ruft sie Adrienne an. Im Hintergrund hört sie den geschäftigen Klang des Salons. Ihr wird bewusst, wie sehr sie das vermisst. Sie hasst es, nicht dort zu sein - das war schon immer so. Plötzlich sehnt sie sich danach, in die Rue Cambon zurückzukehren und sich wieder in die Arbeit zu stürzen. Sie hat nicht Igors Selbstdisziplin. Er kann allein arbeiten und seinen Tag strukturieren, aber sie braucht Menschen um sich herum. Zwar ist sie dreimal in der Woche in Paris und arbeitet auch zu Hause stundenlang, doch das genügt ihr nicht. Morgen fährt sie hin, beschließt sie.
Im Spiegel über dem Telefon sieht sie einen blassen Fleck auf ihrer Wange, ein ausgebleichtes Oval, wo die Haut ihre Pigmentierung verloren hat. Und ihr fällt auf, dass ihre Fingernägel von den vielen Zigaretten gelblich geworden sind. Sie raucht zu viel, wenn sie hier ist.
Sicher weil sie sich Sorgen macht. Und warum? Weil sie hier Zeit hat, sich Sorgen zu machen: darüber, was sie macht, wohin sie geht und mit wem sie zusammensein will. Zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher