Coconut Caye - Insel der Lust
einen kompletten Blödsinn sie da geredet hatte. Sie hatte die ganze Zeit über nur an ihre Arbeit gedacht und versucht, das Gespräch in einen Flirt münden zu lassen. Dabei hatte sie keine Sekunde darüber nachgedacht, wie anders sein Job aussah. Er setzte sich den schlimmsten Gefahren aus, blickte tagtäglich auf Leid, Elend und Verlust.
Plötzlich schien ihr Alltag inmitten von Kosmetik und Accessoires furchtbar leer und unbedeutend. Und vor diesem Hintergrund gewann das geplante Förderprogramm von
Girl Gear
eine vollkommen neue Dimension.
Sydney war stolz auf das Projekt, in das sie Unmengen Arbeit und Mühe investiert hatte. Darauf könnte auch Ray stolz sein. Und vielleicht konnte es sogar ihre Mutter irgendwann schaffen, stolz auf sie zu sein.
Aber im Moment waren weder sie noch ihre Projekte wichtig, sondern Ray. Sie wäre gern der Mensch, an den er sich anlehnen konnte und dem er all seine Sorgen und Nöte anvertraute. Denn dem Ausdruck seiner Augen nach zu urteilen, schleppte er bereits viel zu viel mit sich herum.
Sie lächelte ihn aufmunternd an. “Ich kann mir denken, dass dein Job vollkommen anders aussieht als meiner – ich meine, was das Vergnügen angeht. Dafür ist er aber auch um ein Vielfaches dankbarer als die Leitung eines Modeimperiums.”
“Wenn du ein Imperium leitest, bist du wohl eine Kaiserin, oder?”, fragte Ray, der offensichtlich das Gespräch von sich ablenken wollte.
“Nein, bin ich nicht. Ich bin nur eine schlichte Managerin.” Diesmal ging sie auf sein Ablenkungsmanöver ein, doch das hieß keineswegs, dass das Thema endgültig abgehakt war.
Er grinste und schüttelte den Kopf. “An dir war noch nie etwas Schlichtes, Sydney Ford. Das wusste ich gleich, als ich dich zum ersten Mal sah.”
“Und wann war das?” Wann sie ihn das erste Mal gesehen hatte, daran erinnerte sie sich genau.
“In meinem letzten High-School-Jahr”, antwortete er und lehnte sich mit den Armen auf die Balkonbrüstung. Er blickte aufs Meer hinaus, als er fortfuhr: “Du kamst mit Isabel Leighton in den Computerraum, wo wir an der Schülerzeitung arbeiteten. Isabel schrieb damals für die Zeitung und lieferte ihre Geschichten grundsätzlich in letzter Minute ab. Du bliebst in der Tür stehen. Ich weiß noch, dass du einen Stapel Bücher im Arm hattest. Und du trugst einen gestreiften Hosenrock und eine weiße Seidenbluse, was ziemlich auffiel, da die anderen Mädchen auf der Schule ausnahmslos in Jeans herumliefen. Hinterher habe ich erfahren, wer du warst. Ich fand damals, Hosenrock und Seidenbluse passten zu deinem Image als Eiskönigin.”
Er sah sie lächelnd an. “Ich habe nie verstanden, warum du auf unserer Schule warst. Mädchen wie du gehen normalerweise auf teure Privatschulen.”
“Wegen meiner Mutter”, bekannte Sydney. Natürlich war sie heute nicht mehr wütend auf ihre Mutter, weil sie sie auf diese Schule geschickt hatte. Trotzdem erinnerte sie sich gut, wie schwer es für sie gewesen war, Anschluss zu finden. Ihre Schulzeit war beileibe nicht glücklich gewesen, aber vielleicht hatte sie gerade dadurch gelernt, sich durchzusetzen.
“Meine Mutter wollte nicht, dass ich mich als etwas Besseres fühlte, nur weil mein Vater reich war. Ihr war vermutlich gar nicht klar, wie sehr ich auf dieser Schule auffiel. Ich gehörte einfach nie richtig dazu. Selbst die Kinder, deren Eltern vermögend waren, betrachteten mich als Snob.”
“Weil deine Eltern so viel reicher waren.”
Sydney hatte sich schon oft gefragt, wie ihr Leben wohl ohne das viele Geld verlaufen wäre. Das Geld hatte alles beherrscht. Selbst bei dem Zerwürfnis mit ihrem Vater war Geld der Auslöser gewesen. Andererseits ging es dabei vor allem um gebrochene Versprechen.
“Nolan hat seine erste Million gemacht, bevor er dreißig war, hast du das gewusst? Und meine Mutter stammte auch nicht aus armen Verhältnissen. Außerdem waren ihre abstrakten Ölgemälde von Anfang an heiß begehrt unter Kunstsammlern. Ihre Ausstellungen wurden regelmäßig bis auf das letzte Bild leer gekauft. Finanziell war sie immer unabhängig von meinem Vater gewesen.” Das hatte sich allerdings geändert, wie Sydney auf schmerzliche Weise erfahren musste.
Ray nickte und überlegte einen Moment. “Und nun bist du in die Fußstapfen deiner Eltern getreten und baust dein eigenes Unternehmen auf. Du verdienst eine Menge Geld damit, indem du dein Ding machst und dich auf niemanden außer dir selbst verlässt.”
“Das nehme ich als
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